All Star Fest

Antwerpen (BEL), Zappa, 27.11.2022


Bereits an den Tagen zuvor gaben sich hier einige softere und Poser anlockende Bands wie Nestor, Treat und China die Klinke in die Hand. Doch am heutigen, dritten Festivaltag wird es für die Freunde der NWoBHM interessant, deswegen mussten wir vorher gar nicht hier sein. Doch gelinde gesagt sind uns im Vorfeld die zahlreichen Bandabsagen ziemlich auf dem Keks gegangen. Weil Gitarrist Simon McBride bei Deep Purple eingestiegen ist, werden Sweet Savage heute nicht auftreten, ist wohl so ne vertragsmäßige Managementklamotte seiner neuen Band. Weiterhin müssen wir auf Rock Goddess verzichten und letztendlich auch noch auf Diamond Head, die doch gerade erst am Vortag ihre Tour mit Saxon beendet haben. Beinahe der Grund, gar nicht erst anzureisen, zumal die heutige Bandanzahl von elf auf acht geschrumpft ist.

Zu den absagenden Bands gehören auch die Italiener von Vanexa, deswegen geht es mit Highway Chile aus Rotterdam los, die noch eine Handvoll Tracks von Helloise einstreuen. Wegen Personalüberschneidugen jetzt nicht so das große Problem, zumal beides geile Achtzigerbands waren, doch das konnte schon bei den Fans erstmal für Verwirrung sorgen. Wird aber schnell mitzappelnd geil, weil die nicht nur den alten Kram aus der damaligen Zeit spielen, sondern den auch noch immer authentisch rüberbringen, obwohl Shouter Stan mit seinem schwarz-weißen Hemd aussieht, als wäre er eher der Poserabteilung zugehörig und noch vom Vortag übrig geblieben. Alle vier Frontleute bringen geile Chöre und wir erleben eine Band in bester Spiellaune. Ziemlich coole Vorstellung der Holländer. Schade nur, dass das Publikum erst zum finalen Applaus aus sich rauskommt, der nämlich fett verdient ist. Weil übereck zwei Bühnen in der Halle stehen, fallen die Umbaupausen kurz aus und es geht zügig mit der nächsten Band weiter.


Nicht nur, weil zu Hause die grandiose „Ghosts Of War“ LP im Schrank steht, freuen wir uns auf die alten Recken, sondern auch deswegen, weil wir sie bislang noch nicht live gesehen haben. Sie gehören zu den Bands in der Bewegung, die in der Neuzeit erst Alben abgeliefert haben, und darauf dennoch sie selbst geblieben sind, ohne auf Trends aufzuspringen. Trotz der bereits angesprochenen Bandabsagen sind Weapon UK glücklicherweise hier am Start und ab geht es nach Carl Orffs „O Fortuna“ vom Band. Der Bassist performt dauerhaft breitbeinig und schießt aus der Hüfte, Drummer Martin lässt die Snare amtlich knallen und ihr straightes Material lässt mitwippen. Das läuft so gut, dass Shouter Danny ohne viel Mühe die Arme der Audienz hoch kriegt und ihr auch ganz relaxt bei der Bandvorstellung Applaus abringt. Spätestens bei „The Rocker“, im Original von Thin Lizzy, muss man in der Audienz niemandem mehr etwas erklären. Es kommt als kleine Rarität noch „Losing My Mind“ aus ganz alten Demotagen zu Live-Ehren. Der 1980er Singletrack „It’s A Mad World“ wird stark bejubelt und das Mitsingspiel funzt mit jeder von Danny gewünschten Lautstärke. Der Bandhit „Set The Stage Alight“ wird natürlich zum Finale gebracht, aber noch ein Song wurde vom Stagemanager verwehrt, war ja auch mit fünfzig Spielminuten schon leicht über der Zeit. Aber man kann ja mal fragen…


Leider erscheint erst zum Soundcheck der nächsten Band der Pulk Metaller in der Halle, den wir bei den beiden Bands zuvor zum Support gebraucht hätten. Tytan sind dieser Tage fleißig unterwegs, beackern auch unter dem Banner von „Kev Riddles Baphomet“ mit seinen mitgeschriebenen Angel Witch Songs die Konzertlandschaft und treten auf Festivals wie dem Keep It True Rising unter beidem auf. Heute bekommt Basser Kev schon die Hände der Audienz hoch, noch bevor sie überhaupt angefangen haben. Das gibt einen fließenden Übergang zum Eröffner „Money For Love“ und schon zum zweiten „Cold Bitch“ wird klar, die Band kommt noch besser als zuletzt in Würzburg. „Blind Men And Fools“ steht schon als drittes auf der Liste, bekommt reichlich Applaus und Kev ist deswegen vor Rührung wieder einmal den Tränen nah, dass er von Sänger Tony kurz getröstet wird. Auch das wird mit Beifall belegt. Die Band hätte über ihre Dreiviertelstunde hinaus noch ohne Ende weiterspielen können, wir inhalierten heute bis zum Schlafengehen nur noch Tytan. Ein deutliches Zeichen für eine sehr intensive Angelegenheit und um ehrlich zu sein, haben wir auch gar nichts anderes erwartet.


Wenn man öfter auf Festivals unterwegs ist, bleibt es nicht aus, dass man so manche Band sehr häufig sieht. Ganz sicher gehören die Dänen von Witch Cross dazu, die gerne zwischen Bands der NWoBHM gebucht werden, ohne selbst dazu zu gehören. Und genau das wiederfährt uns heute mal wieder. Ihre Auftritte sind immer irgendwie okay und es gelingt dem Fünfer, einige Fans auf ihre Seite zu ziehen. Selbstredend trägt Shouter Kevin wieder sein rotes Shirt mit dem weißen Kreuz, wahrscheinlich besitzt er für die Bühne gar kein anderes. Es ist aber auf jeden Fall ein optisches Merkmal für Wiedererkennung, falls man mit der Band sonst nicht viel zu tun hat. Das  zügige „Phoenix Fire“ kann einen kleinen Ruck durch die Menge gehen lassen, während „Are You There“ noch immer nach „Dallas 1pm“ von Saxon riecht, und zieht, obwohl es schneller gespielt wird, trotz Mitsingspiel kaum einen Hering vom Teller. Schade eigentlich, denn der Fünfer präsentiert sich super eingespielt und hat schon Spaß in den Backen. Auch weil der Schluss sehr plötzlich kommt, fällt das Gros des Abschlussjubels eher flach aus.


Ab jetzt kommen so langsam die dicken Belege auf dem Billing. Zuletzt gesehen haben wir die ebenfalls auf diesem Festival eingesprungenen Franzosen Sortilege im Jahr 2021 in Amstelveen, als sie das Heavy Metal Maniacs Festival headlineten. Den Übergang vom Soundcheck zum Set können wir kaum wahrnehmen, aber irgendwann war dann mehr Licht da und wir nehmen das mal als den Startschuss. Der Raum vor der Bühne füllt sich und die Audienz kommt in Bewegung. Sänger Christian, wieder mit seiner Sonnenbrille, gibt noch an, seine Ansagen in englischer Sprache machen zu wollen, was er tatsächlich aber die meiste Zeit gar nicht erst versuchte und bei Französisch blieb. Schade, doch es darf mal davon ausgegangen werden, dass die meisten hier Englisch verstanden hätten. Musikalisch werden die Franzosen ihrem hohen Anspruch gerecht, nur sieht das Auge eine gleichförmige Performance, in der kaum mal richtig Action oder wenigstens mal ein Seitenwechsel stattfindet. Christian performt „Sortilege“ zunächst a capella, aber nach dem Song verschwinden die Musiker nach 65 Minuten schnell von der Bühne, ohne großes Verabschiedungs Brimborium.


Das Grillenzirpen aus dem Back kündigt die nächste Band an, die durch ihr Debütalbum „Time Tells No Lies“ 1981 die Bewegung aufmischte. Mit ihrem Anthem als Opener macht die Truppe um die Troy Brüder die Menge frisch und mit „Keep It Alive“ zockt der Fünfer so agil und breitgrinsend, dass man ihr im Gegensatz zu der Band zuvor richtig Bock und Spielfreude ansieht. Wir haben es hier wie beim Auftritt zuvor ebenfalls mit einer alten Band zu tun, nur spulen Praying Mantis nicht einfach bloß ihr Pflichtprogramm runter, sondern sie haben richtig Bock zu zocken und übertragen die Energie auch auf die Menge. Shouter John teilt sich die Ansagen mit Gitarrist Tino Troy und man nimmt ihm bei seinen intensiv gebrachten Vocals jedes Wort ab, besonders bei der Ballade „Dream On“. Und dann endet auf einmal mit dem ultimativen Abschlussrocker „Children Of The Earth“ ein über fünfundsechzigminütiger Auftritt. So schnell verfliegt die Zeit bei einem Klassegig!


Nicht anders beim nächsten Highlight. Killer aus Belgien sind mindestens seit 1983 ein Begriff, und deswegen erwarten wir jetzt auch die sprichwörtliche „Wall Of Sound“. Die kommt auch, aber nicht nur die. Der Dreier macht mächtig Alarm, lässt erdiges Riffgemenge braten und füllt die Bühne komplett aus. Gitarrist und Shouter Shorty bringt große Gesten und knochentrocken geile Ansagen, wie „Drummer Vanne will give you some „Shock Waves““, oder auch die Ansage über eine Frau, die Herzen von Männer stehle, bringt uns zu „Kleptomania“ zum Schmunzeln. Aber als Shorty beim Titeltrack ihres letzten Albums „Monsters Of Rock“ aus 2015 mit dem Hinweis rüberkommt, dass Anfang nächsten Jahres endlich das neue Album erscheint, wird für die Fans eine lange Wartezeit beendet werden. Ein Medley aus mehreren alten Stücken ist zwar nicht so der Bringer, aber die üppige Zeit von siebzig Minuten genügt trotzdem nicht, um alle Kracher komplett zu spielen. Kurz vor Ende begeben sich die beiden Fronter auf einen ausgiebigen Marsch durch das Publikum, hinter der Theke inklusive Bieraufnahme hindurch bis zum Ausgang und zurück. Selbstredend wird unser Gang zum Merch absolut Pflicht, wo Shirts, Patches und Vinyl den Besitzer wechseln. Die hier Heimischen waren die Band des Abends. Schade, dass die Flying V von Shorty die ganze Zeit ungespielt am Drumpodest stehen blieb.


Wo wir recht spät am Abend an den Toiletten unseren Stempel für eine sog. Piss-Flatrate bekommen, erklingen in der Halle schon die ersten Takte vom Opener „Night Of The Demon“, einem der coolsten Songs der ganzen Bewegung. Es ist grad viertel nach zehn durch, da wird es auch schon Zeit für den Headliner des Abends. Und der benötigt kein Backdrop, Demon erkennen wir alle auch ohne. Wer jetzt noch vor Ort ist, feiert vor der Mainstage, die übrigens gar nicht viel größer ist als die ums Eck, sondern bloß einen Spot mehr unter der Decke hat, Songs wie „Sign Of A Madman“, „Wonderland“ und „The Spell“ ab. Und wer jetzt noch Bier möchte, muss zusehen, denn die Bon Ausgabe wurde bereits geschlossen. Was soll denn das, dürfen wir jetzt nicht s mehr trinken? Dafür wird uns zu „Standing On The Edge Of The World“ von einem begeisterten Fan, der offensichtlich nicht mehr dringend Bier benötigt, ein fantasiereicher Text in s Ohr gebrüllt. „Don’t Break The Circle“ und „One Helluva Night“ beenden den Abend und sorgen auf dem Heimweg noch für den ein oder anderen spontanen Grölchor. Dagegen verläuft unsere Nacht in einem sterilen Hotel in der nahegelegenen, aus dem Boden gestampften Trabantenstadt etwas ernüchterner.

Autor & Pics: Joxe Schaefer