Underground Remains Open Air
Göttingen, Haus der Kulturen, 09.06.2018
Das in Göttingen sind gute Jungs, tönte es im Vorfeld aus Hessen. Na gut, dann tun wir uns doch mal das Underground Remains Open Air im Süden Niedersachsens an, das es bereits seit 2013 gibt. Die erste Band stellt sich als Psychotool vor, als sie hier in diesem Hinterhof eines ehemaligen Bundeswehrlagers mit Kopfsteinpflaster um 14:00 Uhr loslegen. Das Quintett springt für die verhinderten Rostocker Obscure Mortuary ein und wirft zunächst ein paar Doomriffs ab, schwenkt dann für die nächsten vierzig Minuten mehr zu straightem Gegroove auf Death Metal Basis über. Darauf schrauben sie etwas Thrash und ein paar grindige Gurgelvocals, womit sie hier im heimischen Göttingen schon früh mehr als bloß Höflichkeitsapplaus einheimsen. Über „Dirty Cash“ und „Facebreaker“ halten sie das bis zum finalen „Rotten Paradise“ auch so durch. Die Sonne verschwindet, also muss das Wirkung haben. Ebenso Eindruck schindet ihr tighter Drummer im sympathischen Shirt der Münsteraner Thrasher Antilles. Ein mehr als guter Ersatz, diese Lokalpatrioten!
Je weiter es sich füllt, desto auffälliger ist man hier als Träger von Blue Jeans. Das Gros kleidet sich komplett schwarz, oder zumindest farblos mit grauen Tönen. Bei den Temperaturen um die dreißig Grad und praller Sonne, die zur nächsten Band wieder auftaucht, ist Weiß auch nicht unbeliebt. Irgendwie muss ich beim Bandnamen Mortify The Flesh immer an „Balls To The Wall“ von Accept denken. Dabei spielt der Vierer aus der Bierstadt Einbeck Death Metal, brutales, mit coremäßigen Breaks bespicktes Zeug. Die jedoch in Kassel Gegründeten haben einen agilen und sehr sympathischen Shouter in ihren Reihen, der im Shirt von Unanimated nicht mit tiefster und fülligster Stimme bellt, jedoch seine tieferen Ausstöße mit reichlich Gestik unterstreicht und dabei niemals stehenbleibt. Gebange auf und vor der Bühne ist die logische Konsequenz und die ersten Kreisläufer machen ihre Runden. Gemäß ihrer Tradition folgt die Ansage: „Wer am meisten bangt, bekommt ein Shirt!“ Als ob sich noch niemand bewegt hätte … die Rechnung geht für diesen und die nächsten Songs weiter auf. Leider haben Mortify The Flesh nur fünfunddreißig Minuten gespielt, haben aber die Nackenmuskeln massiert. Darauf noch ein Allersheimer …!
Für eine andere Stimmfarbe sorgen Gateway To Selfdestruction mit Growlerin Mara, die jedoch ihre Ansagen mit klarer Stimme bringt. Der Fünfer mit zwei Gitarren reiste aus Zwickau an, um hier in der Universitätsstadt ihren sphärischen Black Metal mit hellerem und gewollt nicht zu exaktem Gebrüll vorzutragen, der, und das muss angeführt werden, nicht jedem mundet. Die schlicht in Schwarz gekleideten toten Augen offenbaren auch wirklich nichts Lebendiges, reißen zum Sound von zwei Gitarren zwischen Aufstellern mit erhangenen Körpern ihre Fans vor der Bühne und solchen, die es grad werden, gut mit. Auf einen Slowpart folgt alsbald ein Wutausbruch, was bei Freunden dieses Sounds unheimlich gut ankommt. Schön knalliger Drumsound übrigens noch, der auch tight und kraftvoll gespielt wird und mit dem die Sachsen angenehm geradlinig und episch ihre Furchen durch den Untergrund ziehen. Jetzt wo sich die Audienz grad so schön eingeschwungen hat, sollte nach fünfundvierzig Minuten leider schon Schluss sein, doch für heftige Zugaberufe hing man noch was dran! Wahrlich für viele ein Highlight an diesem Nachmittag!
Wenn man aus dem Ruhrpott kommt, dann ist man mit den Black-Thrashern von Erazor vertraut. Ihr letztes Album „Dust Monuments“ liegt bereits drei Jahre zurück und die Essener sind auf dem Livesektor noch immer sehr präsent. Sie treten ohne Facepaintings auf und bringen mehr das solide Thrashbrett, aber hellbraune Schuhe und weiße Sonnenbrille wirken eher semi. Daran kann es aber nicht liegen, dass es Zeit braucht, bis es vor der Bühne voller wird. Ebenfalls nicht am gelieferten Brett und höheren Aktionsradien. Der Fünfer gibt die Kante ohne Kompromisse, dass alsbald einige Frontbanger das zu schätzen wissen und die Matte kreisen lassen. Neudrummer Otte kloppt so drauf, dass er einen Stick verliert und diesen unterm Drumpodest wiederfindet. Im weiteren Verlauf kann er ebenfalls recht flink technische Probleme an seinem Kit lösen. Nach älteren Tracks wie „Demise Of The Unhallowed“ passt “Black Demon“ von Running Wild besonders gut und “Out Of The Grave“ muss nach knapp über vierzig Minuten das Ende bleiben; vielleicht waren die Rufe nach Zugabe einfach nicht laut genug …
Gerade noch ein Splitalbum mit den Genrekollegen von Space Chaser veröffentlicht, dürfen nun Distillator aus Enschede ran. Die Thrasher entfachen ein wahres Hochgeschwindigkeistfeuerwerk mit einem fett bratenden Bass und Vocals, ähnlich denen bei Evil Invaders – auch optisch könnten sie von den Belgiern entlaufen sein. Die Riffs werden immer schön breitbeinig erzeugt und bei der Explorer von Gitarrist und Shouter Desecrator reißt früh eine Saite, dass er seine Klampfe wechseln muss. Er spielt seine Soli ganz vorne zusammen mit der ersten Reihe, die sich dicht an den Monitorboxen gebildet hat. Es wird im Vollgas gut was weggeschreddert, da bleibt keine Kutte regungslos, auch wenn „Gates Of Autonomy” mal etwas gemächlicher anfängt. Mit ihrer Interpretation von Slayers „Black Magic“, ebenfalls vom aktuellen Splitalbum, fährt das Trio den größten Applaus ein, da sind die knappen fünfunddreißig Minuten Obergetöse für manchen Banger schon absolut ausreichend!
Mit Ophis aus Hamburg wird es nun für die Audienz noch etwas ernster. Mal sehen wie sie hier bei dem Wetter ihren doomigen Death verpacken, wie sich die Macht ihres aktuellen Albums “The Dismal Circle” entfaltet. Der einsetzende Regen mag vielleicht etwas passender für ihren Sound sein als pralle Sonne, ist aber für das Publikum vor der Bühne suboptimal. Eine kleine Menge harrt davor die kompletten fünfzig Minuten lang aus, das Gros jedoch verzieht sich unter Dächer oder in die Pkw, denn es goss in einem durch. Sehr schade, wenn man nicht mitbekommt, wie das Quartett eine tieftraurige Schleppromantik brät und diese rüberbringt. Ihr seltenst schnell spielender Drummer zockt Barfuß und holt für jeden Schlag weit aus, was auch optisch was hermacht. Die sehr halligen Vocals von Gitarrist und Shouter Philipp werden unclean gefaucht, was schon beim Soundcheck gefiel. Die Hansestädter kann man sich einschränkungslos immer wieder geben. Wahrscheinlich ist es dem Regen geschuldet, dass der ganz große Run auf das reichhaltige Merch mit vier verschiedenen Shirtmotiven ausbleibt.
Zuletzt haben wir einen überzeugenden Headlinergig von Deathrite im Oberhausener „Helvete“ gesehen, mal sehen, was die Jungs hier in Göttingen reißen. Zunächst lassen sich die Jungs vorweg ein ultradröhnendes Intro abspielen. Für etwas mehr Finsternis sorgt zwischen den Songs ebenfalls das abgespielte Grollen. Zu reichlich Nebel und großen Gesten von dem sich die Rübe wegbangendem Shouter Tony, der ständig Anstalten macht, den Mikrofonständer zu verbiegen, regiert für eine Dreiviertelstunde die erhabene Macht des rohen Oldschool-Deaths. Der knallt gut und ihr knochig knarziger Gitarrensound funktioniert in jedem Tempo. Das alles macht so mächtig Laune, dass sich immer wieder Pits bilden. Die Crowd kann alles, nur dass der erste Crowdsurfer über 100 kg wiegen muss, stellt eine Herausforderung für die Anwesenden dar. Am Ende schnell noch eine gute Nachricht: Die Dresdener gehen jetzt ins Studio; es wird also bald mit neuem Material zu rechnen sein, das man neben dem 2015er Album “Revelation Of Chaos” einordnen darf!
Der Zeitplan hat sich inzwischen immer weiter nach hinten verschoben … die letzte Band hätte nach dem tatsächlichen Ende der Vernichtungsmaschine Deathrite bereits schon fünf Minuten spielen sollen. Danach darf die ausgepowerte Meute mit diesen Kölnern klarkommen, welche das Finale bestreiten. Wer schon mal eine Show von Pripjat gesehen hat, der weiß, was man zu erwarten hat. Deswegen hatten wir sie von X-CRASH auch gerade im Interview. Denn die Thrasher sind bekannt dafür, lustig von null auf panische Vollaction in plötzlichen 0,666 Nanosekunden schalten zu können. Hier auf dem Underground Remains, ihre zweite Teilnahme an diesem Festival, brechen sie nach den letzten Abstimmungen im Soundcheck sofort das Thrashbrett los und fast ebenso schnell stehen die Fans gedrängt vor den Monitorboxen und feiern ab wie Scheiße. Das Gebange mit fliegenden Haaren zieht sich bis weit hinten in die Menge. Zwar titelt ein früher Track „Acid Rain“, doch der Regen hat hier längst gestoppt und es steigt Wasserdampf vor der Bühne auf. Die Riffs werden glasklar geschnitten und „Bowed Yet Unbroken“ drückt sich in die Gehirne. Shouter Kirill bringt richtig geiles Geschrei und verteilt die Ansagen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: “Jetzt gibt es auf die Fresse: Survival Of The Sickest“, der Speedster vom letzten Album “Chain Reaction”. Er bekommt den Circle Pit auf Zuruf, aber das Gros der grandiosen Action geht auf des Konto von Pablo, dem ziemlich cool agierenden Basstier mit chilenischen Wurzeln und dem Gitarristen Eugen, der mal wieder Barfuß über die Bretter springt. Diese Thrasher muss man definitiv live gesehen haben. Nach dem Gig wurde noch heftig weiter gefeiert und für uns vom X-CRASH steht fest: Wir kommen wieder zum Underground Remains!
Autor & Pics: Joxe Schaefer