THE WILDHEARTS, NECK CEMETERY

Essen, Turock, 25.10.2019


Einige Besucher hatten noch Double Crush Syndrome im Kopf, doch manchmal kommt es anders. Die aufgestellten Dekograbsteinchen und ihr Backdrop verlieren sich etwas auf der großen Turock Bühne. Mal sehen, wie groß sich Jens and the Peters nun präsentieren, was sie auf dem Kasten haben, das Publikum für The Wildhearts aufzuwärmen. Stilistisch gibt es schon mal wenig zu meckern. Wenn du als Oberposer bekannt bist, heißt das ja noch lange nicht, dass du nicht auch erdigen Metal spielen kannst. Genau das stellen Neck Cemetery aus Köln, Essen, Bochum und Bonn nun unter Beweis, auch wenn man sich mehr oder weniger posermäßig gekleidet hat. Frontmann Jens kennt man als Redakteur beim Rock Hard Magazin, den man heute mal anders erleben kann. In den Ansagen sehr klar und gut bei Stimme hält er bereits im dritten Song die Bandvorstellung ab, die er ganz sicher nicht zu knapp ausfallen lässt. Dazu zitiert der Fünfer aber locker Iced Earth, Iron Maiden, Twisted Sister und Konsorten, dass die Stimmung nicht abfällt. Die Dame im Shirt von Mötley Crüe neben mir findet die Band heute etwas besser als beim letzten Mal. Gegen Ende verrät die Herkunft ihres Bandnamens die anständige Coverversion von den Ramones, welche die Jungs natürlich „Neck Sematary“ nennen. Nach etwas über einer halbe Stunde Spielzeit muss Schluss sein und wir dürfen die Daumen hoch halten.


Ebenfalls noch nie live gesehen hat der Verfasser dieser Zeilen den Headliner des heutigen Abends. Durch MTV bekannt geworden, konnte man Mitte der Neunziger The Wildhearts abfeiern, die mit eingängigen Melodien zu knallharten Riffgitarren straight und etwas punkig bis zur Metalszene Druck machten. Der zweite Teil ihrer „The Renaissence Men Tour“ führt die Briten für nur einen Stop nach Deutschland, und genau der steht im Turock zu Essen an. Wer die Band in den letzten zwanzig Jahren aus den Ohren verloren hat, verpasste locker fünf Longplayer. Trotzdem vermutet man aber den Schwerpunkt der Songauswahl auf den ersten drei Alben, zumal der Vierer in der 1994er Besetzung auf den Brettern steht und weil man die frühen Alben für die stärksten hält. Tatsächlich fällt der Mix jedoch viel bunter aus, aber es sind die alten Gassenhauer „I Wanna Go Where The People Go“ und das Wechselsolo beinhaltende „Sick Of Drugs“, die das Publikum komplett auftauen. In einer rockigen Leichtigkeit haben sie ziemlich perfekte Chöre drauf und sind mit Ausnahme ihres Ruhepol Bassmanns immer irgendwie in Bewegung. Der Punch landet und wir dürfen feststellen, ihr Sound ist live so heavy wie auf den (alten) Platten. Nach „Mindslide“ wird endlich die Geschwindigkeitsgranate „Caffeine Bomb“ gebracht, ein ebenso sicherer Ausrastgarant wie das leider nicht gespielte „Suckerpunch“. Bandgründer, Songwriter, Gitarrist und Sänger Ginger hält sich mit Ansagen zurück und wechselt die Gitarre, bevor „Red Light – Green Light“ das leider nur etwa halbvolle Turock jubeln lässt. Nachdem der Vierer nach dem regulären Set die Bühne zunächst verlässt, zeigt sich die Audienz nicht müde und singt das von den Dubliners und The Pogues bekannte „Dirty Old Town“, bis Ginger und Co. für die erste Zugabe „Everlone“ übernehmen. Danach sind es wieder einmal die abfeiernden ersten Reihen, die den Shout „London“ im grandiosen „Greetings From Shitsville“ bringen. Und es sind wieder einmal die Klassiker, die den Zugabenblock bestimmen, denn auch der letzte Song „Love U Til I Don‘t“ stammt vom 93er Paradealbum „Earth Vs. The Wildhearts“ und macht achtzig Minuten Spielzeit voll. Wir haben die Jungs aus Newcastle Upon Tyne in fantastischer Spiellaune gesehen. Sie haben letztendlich begeistert, auch wenn Klassiker wie TV Tan, „Just In Lust“, „My Baby Is A Headfuck“ oder die Tempogranate „Suckerpunch“ nicht gespielt wurden.

Autor: Joxe Schaefer
Pics: Kommodore Johnsen