CIRITH UNGOL – dark parade

Hurra, wir sterben bald! Auf dem zweiten Album nach ihrer Reunion 2017 präsentieren die Kalifornier aus Ventura einmal mehr auf eine, wie gewohnt, sehr eigene Art ihre Visionen vom Weltuntergang und dem endgültigen Ende der menschlichen Zivilisation. „Wer Visionen hat, sollte zu einem Arzt gehen“, hat einmal Altkanzler Helmut Schmidt gesagt. „Die Cirith Ungol Reunion war das beste, was uns passieren konnte“ schrieb ein gewisser Götz Kühnemund in seiner Kritik zur „Witches Game“- EP.

Und das ist auf jeden Fall das passendere Zitat, denn gleich der bereits schon live vorgestellte Opener „Velocity (S.E.P.)“ macht von Anfang an keine Gefangenen und verströmt metallische Glückseligkeit. Ein insgesamt ziemlich flotter und sogar melodischer Song mit sich gegenseitig überbietenden Gitarren. Generell muss man das Gitarrenspiel von Gründungsmitglied Greg Lindstrom und Jim Baraza immer wieder lobend hervorheben. Gelingt es ihnen doch, auf Albumlänge den Geist des leider verstorbenen Jerry Folgle in Erinnerung zu halten. Leider Gottes musste Jim, der erstmals auf dem vierten Album „Paradise Lost“ (1991) zu hören ist, dieser Tage seinen gesundheitsbedingten Austritt bekannt geben. Auf „Dark Parade“ ist er  aber Gott sei Dank noch zu hören. Sein gefühlvolles Gitarrenspiel ziert auch das schleppende „Relentless“ oder den akustischen Beginn des achtminütigen Epos „Sailor On The Seas Of Fate“. Natürlich dürfen hier Meeresrauschen und Möwengeschrei nicht fehlen. Bemerkenswert ist das Break im letzten Drittel, welches ähnlich gut funktioniert wie seiner Zeit bei „Chaos Descends“ (vom 1986er Album „One Foot In Hell“). An sich ist der Song im Midtempo gehalten, doch hier erfährt er plötzlich eine Wendung und sorgt mit seinen Energieschub beim Hörer für wohlige Schauer.

„Sacrifce“ wird von einem Flamenco Intro eingeleitet, dem ein markerschütternder Schrei Tim Bakers folgt. Man hasst oder liebt ihn dafür, aber hier ist sein eh schon extremer Gesang völlig entfesselt: „A symphony of evil – begin their judgement day/ Suffer in their madness –  nowhere left to pray / A symphony of darkness –  inter the light of day/ Suffering their madness – another judgement day…“ Tims Gesang klingt hier noch eine ganze Ecke aggressiver als ohnehin schon und „growlt“ geradezu. Wem hier keine Fangzähne wachsen und Fäuste in die Luft gereckt werden wollen … ach, dann weiß ich auch nicht. Nicht minder düster kommt das zähfließende „Looking Glass“ daher. Bietet mit einem gefühlvollen Gitarrensolo, welches dezent an Sabbath‘s „Children Of The Sea“ erinnert, aber auch ein paar Sonnenstrahlen in all der Düsternis. Passenderweise hört man zu Beginn des Songs zerschellendes Glas. Mit einer relativ ungewöhnlichen Groove/Rhythmik kommt der Titeltrack daher. Insgesamt ziemlich schleppend und endet gleich dreimal. „Distant Shadows“ wird von einem immer wiederkehrenden, schönen, melodischen Gitarrenleitmotiv getragen, welcher sich wie ein roter Faden durch die gesamte Komposition zieht. Tims Gesang scheint hier ebenfalls gemäßigter zu sein. Dies ändert sich dann wieder mit dem nahtlos übergehenden „Down Below“, das zunächst mit Akustikgitarre und Frauengesang (!) beginnt. Nach kurzer Zeit setzt der aggressive Gesang ein und es wird hier einem wieder einmal bewusst, wie großartig die Gitarrenarbeit auf diesem Album geworden ist.

Großartig ist aber auch die Produktion von Night Demon Gitarrist Armand John Anthony, die diesmal transparenter und nicht so verwaschen klingt wie noch beim Comeback Album. Insgesamt ist „Dark Parade“ sogar noch härter und düsterer ausgefallen als seine Vorgänger. Hat aber mit diesen gemein, dass trotz all seiner Eigenheiten, wie zum Beispiel dem entrückten Schreigesang und des völlig entgegengesetzten Melodie-Verständnisses ein weiteres pechschwarzes Stück Tonkunst entstanden ist, welches genügend Ankerpunkte hergibt, um sich im Labyrinth des Spinnenpfades zurecht zu finden. Und möge wieder ein mal das „Weight Of The World“ noch so schwer auf unseren Schultern lasten – gemeint ist nicht die leicht übergewichtige Freundin während eines Konzertes – Cirith Ungol lassen niemanden zurück. Nicht den „Lärmsuchenden“, und erst recht nicht den „Lärmfindenden“… Legions arise and join the Dark Parade. Forever Black!

Wertung: 9,5/10
Autor: Michael Staude