FATES WARNING – long day good night

Ui, dieses Mal bin ich aber spät dran…wie gut, dass unser werter Chef die Reviews nicht mit abgesägter Schrotflinte oder Liebesentzug pünktlich zum VÖ einfordert.

Und jetzt haben wir den Salat…was kann man noch Neues, Wissenswertes über ein Album sagen, das bereits von Hinz und Kunz besprochen wurde, und auch erfreulicherweise auf einen respektablen Platz 11 der Media Control Charts eingestiegen ist? Da bleibt einem nichts anderes übrig, als das Pferd von hinten aufzäumen und zu konsternieren, dass man als geneigter Prog Metal oder gar Fates Warning Fan sehr wohl mit der Gesamtsituation zufrieden sein kann. Sollte es, wie in diversen Interviews mehrfach angedeutet, wirklich das letzte Werk dieser tollen Band sein, kann man, nein, man muss von einem in jeder Hinsicht würdigen Abschiedsalbum sprechen.

„Long Day Good Night“ ist das dreizehnte Studioalbum, enthält dreizehn Songs, und ist mit rekordverdächtigen 73 Minuten das längste Album der reichhaltigen Bandgeschichte. Und keine einzige Minute davon ist langweilig oder gar schwach. Im Grunde habe ich auch gar nichts anderes erwartet. Sicherlich ist der Überraschungseffekt, den der famose Vorgänger „Theories Of Flight“ noch hatte, weg, aber diese dreizehn Songs beinhalten ALLES, was Fates Warning seit dem 1991er Album „Parallels“ musikalisch ausgemacht haben. Abwechslung wird hier, wie eigentlich schon immer, großgeschrieben. Nicht nur hinsichtlich der Albumlänge, sondern auch innerhalb eines Songs selbst. Ich würde „Long Day Good Night“ in zwei Seiten, wie bei einer klassischen Langspielplatte, aufteilen. Aufgrund der längeren Spielzeit ist es natürlich in Wirklichkeit eine Doppel-LP.

Seite A enthält diverse, verhältnismäßig kompakte, durch die Bank melodische Songs, die nicht selten an die „Paralells” / “Inside Out“-Phase (1991/1994) erinnern. Gleich der  Opener „The Destination Onward“ ist beispielsweise so ein typischer Kandidat. Der Song beginnt sehr leise und recht verhalten, nur um dann nach drei Minuten auf einmal los zu brechen. Ähnlich wie seinerzeit bei „Leave The Past Behind“ von „Parallels“ (1991) oder „From The Rooftops“ vom letzten Album. Zudem enthält „Seite A“ mit dem bereits ausgekoppelten „Now Comes The Rain“ und dem wunderschönen, von Cello und Violinen begleiteten „Under The Sun“ zwei todsichere (Band)Hits.

Seite B ist dagegen noch etwas progressiver ausgefallen, und zum Teil auch ein wenig sperriger. Es benötigt hier etwa vier, fünf Spins mehr, bis deren Kompositionen sich in ihrer wahren Pracht entfalten. Dies gilt insbesondere für den Quasi-Titelsong und einzigen Longtrack „The Longest Shadow Of The Day“. Beide Teile scheinen anfangs nicht so recht zusammen zu passen. Allerdings legt sich dieser Eindruck mit der Zeit. Ungewöhnlich ist auch der Beginn von „Begin Again“, welches mit einem ungewöhnlichen, leicht jazzigen Drumfill anfängt, sich aber im weiteren Verlauf zu einem typischen Fates Warning Song mit allen Trademarks inklusive griffigem Refrain entwickelt. Eine weitere progressivere Nummer und in jederlei Hinsicht gelungen, ist „When Snow Falls“. Hier zeichnet sich übrigens Porcupine Tree Drummer Gavin Harrisson für die Drum Patterns verantwortlich, die für einen durch und durch „Metal Drummer“ Bobby Jarzombek wohl doch ein wenig zu elektronisch waren. „Snow Falls…“ hätte auch auf dem 97er Album „A Pleasant Shade Of Grey“ stehen können und erinnert ebenfalls ein wenig an „The Lighthouse“ von „Darkness In A Different Light“ (2013).

Allerdings haben sich auch auf Seite “B“ einige kompakte Songs eingeschlichen. Wie etwa die düstere, erste Singleauskopplung „Scars“, das aggressive „Liar“ und noch einmal einen todsicheren Hit namens „Glass Houses“. Das traurige, rein akustische „Last Song“ verweist nicht nur auf das Ende eines äußerst gelungenen Albums, sondern auch auf das vermeintlich nahende Ende einer einzigartigen Band. Letzteres wäre in der Tat tragisch, nachdem die Band sich seit ein paar Jahren wieder deutlich im Aufwind befand, und endlich mehr Erfolg und Anerkennung zu Teil wurde. Getreu dem Motto „The Road Goes On Forever“, einer Ballade von „Parallels“, hoffen wir mal , dass die Corona Pandemie irgendwann mal vorbei sein wird, Fates Warning (und natürlich alle anderen Bands) wieder touren, und von ihrer Musik leben können, und letztlich der gute Jim Matheos sich eines Tages doch noch einmal aufraffen kann, seinen Fans ein weiteres Fates Warning Album zu schenken. Gerade jetzt wäre ein solcher Gedanke durchaus tröstlich.

Für mich ist „Long Day Good Night“ das Album des Jahres! Fates Warning haben wieder einmal alles richtig gemacht!

Wertung: 9,5/10
Autor: Michael Staude