GATEKEEPER – from western shores

Scheiden tut weh. Diese Erfahrung mussten auch die kanadischen Epic Metaller Gatekeeper machen. Es ist schon fünf Jahre her, dass ihr äußerst starkes Debüt „East Of The Sun“ zu begeistern wusste, und man zur Speerspitze des Epic Metals mit Bands wie Smoulder, Eternal Champion oder Visigoth aufschloss. Und dann, wo es richtig losgehen sollte, kam das große Niesen und Husten. Dies wirkte sich nicht nur auf das Weltgeschehen allgemein aus, sondern brachte auch so manchen gestandenen Musiker seine Prioritäten im Leben zu überdenken. So verließ Gitarrist Kenny Croecher noch vor der Pandemie die Band, um wieder zur Uni zu gehen. Etwas schwerwiegender ist der Ausstieg von Sänger Jean-Pierre Abboud zu bewerten. Seine raue, recht eigenwillige Stimme war das „gewisse Etwas“ und verlieh dem Erstling und der ein Jahr später nachgeschobenen famosen „Grey Maiden“ EP  ihrem ganz speziellen Charme. Der gute JP tanzt(e) wohl auf zu vielen musikalischen Hochzeiten und konzentriert sich fort an auf die ebenfalls großartigen Traveler. Mit ihm verschwanden offensichtlich auch die NWOBHM und etwaige Doom Einflüsse.

Bandleader und Gitarrist Jeff Black hat sich dennoch nicht entmutigen lassen und hat mit Touringgitarrist Adam Bergen und dem bisher relativ unbekannten Sänger Tyler Anderson die im Line-up vakanten Posten neu besetzt. Letzterer macht aber einen ausgesprochen guten Job, auch wenn er so ganz anders als sein Vorgänger klingt. In tiefen Tonlagen erinnert er an einen jungen Rob Halford, in höheren eher an Lizzy Borden. Insgesamt ist sein Gesang melodischer und dürfte auch ein anderes Klientel als das reine Keep It True- Publikum ansprechen. Das beeinflusst natürlich auch die Ausrichtung des Songmaterials, welches nun viel geschliffener und sehr melodisch rüber kommt. Allerdings muss dies kein Nachteil sein. Stutzt man anfangs noch mit den Ohren, hat man sich nach drei, vier Durchläufen bereits an die Neuerungen gewöhnt. Ganz klar, hier handelt es sich nach wie vor um unseren geliebten Epic Metal und das Songwriting ist gewohnt hochwertig, nur eben ein wenig anders. Starke Songs gibt es zuhauf. Wie etwa die clever ausgewählte erste Single „Exiled King“, die doch sehr typisch für die Kanadier ist, und tatsächlich noch vor dem Erscheinen des Debütalbums komponiert wurde. Alle anderen Songs sind dagegen ausnahmslos neu. Der Opener und Titeltrack „From Western Shores“ und „Twisted Towers“ gehen als die melodischsten Tracks  des Albums durch. „Death On Black Wings“ ist dann schon flotter unterwegs, wenn auch keine Abrissbirne wie „Blade Of Cimmeria“ vom Debüt. Meine persönlichen Favoriten sind aber das vom Neugitarrist Adam Bergen komponierte vielschichtige „Desert Winds“ und die abschließende Bandhymne „Keepers Of The Gate“.

Hand aufs Herz: Ich hatte anfangs auch so meine Bedenken wegen des Sängerwechsels und der damit verbundenen musikalischen Ausrichtung. Letzten Endes ist dieser Unterschied nur marginal. Jeff Black und seine Mannen haben hier kompositorisch rein gar nichts anbrennen lassen. Okay, ein paar „Wohoho“ Parts weniger, wären auch genug gewesen. Ein guter Song ist und bleibt ein guter Song. Wenn ein Chorus, der zunächst aufdringlich scheint, schließlich doch genau so funktioniert, dass man ihn nicht vergisst, hat man alles richtig gemacht. Schon jetzt bin ich gespannt wie die im Gehirn fest eingebrannten Songs live mit neuen Sänger rüber kommen. Gatekeeper sind eine Band, mit der man weiterhin rechnen muss, und die eure Unterstützung verdient hat!

Wertung: 8,5/10
Autor: Michael Staude