HELLOWEEN – same

Als die Hamburger Metal-Institution Helloween vor gut einem halben Jahrzehnt die Rückkehr der alten Mitglieder Michael Kiske und Kai Hansen ankündigte, hat das sicher nicht nur in mir als jahrzehntelangem Fan sowohl Vorfreude und Spannung, als auch Skepsis ausgelöst. Als ich dann im November 2017 einem Konzert der “Pumpkins United” Tour beiwohnen durfte, waren die Zweifel wie weggewischt. Das Septett präsentierte sich als homogenes Team, und hat so viel Spielfreude an den Tag gelegt, dass mir zeitweise die Freudentränen in die Augen stiegen. Außer dieser großen World Tour war aber zu dem Zeitpunkt noch nichts weiteres geplant. Mir war aber klar: Wenn Helloween es schaffen würden, die Energie der Konzerte auf ein Album zu übertragen, kann es nicht schlecht werden. Zum Glück hat die Band entschieden, in der Siebener-Besetzung mit dem aktuellen Lineup plus Hansen und Kiske weiter zu machen. Und jetzt liegt der neue, selbstbetitelte Longplayer, endlich vor. Schon die Optik ist direkt ansprechend. Das geschmackvolle und sehr künstlerisch gestaltete Artwork zeigt Elemente, die man sofort mit der Band assoziiert, wie den Keeper, die Schlüssel oder die Ringe.

Wichtiger ist aber natürlich die Musik. Der Opener “Out For The Glory” ist ein klassischer Helloween-Song mit leichter Überlänge aus der Feder von Michael Weikath, der nach kurzem Intro mit absolut bandtypischen Gitarrenmelodien beginnt und dem geneigten Hörer sofort ein fettes Grinsen ins Gesicht zaubert. Als dann der Gesang von Michael Kiske einsetzt, ist unmissverständlich klar: Helloween sind zurück und so stark wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Kiske hat nichts verlernt, singt wie ein junger Gott und macht unmissverständlich klar, wer der deutsche Bruce Dickinson und wahrscheinlich auch der beste deutsche Metal-Sänger überhaupt ist. Ein großartiger Einstieg, und eine kleine Reise in eine glorreiche Vergangenheit!

Wer nach dem ersten Stück vermutet, dass sich die ganze Scheibe an der “Keeper”-Phase orientiert, wird allerdings schnell eines Besseren belehrt, denn “Helloween” ist eher ein Querschnitt durch fast alle Bandphasen – schon alleine dadurch, dass Andi Deris beim Songwriting kräftig mitgemischt hat. Bei “Fear Of The Fallen”, einem der von ihm geschriebenen Stücke, ist er Chef am Mikro und liefert ebenfalls eine perfekte Leistung ab, auch wenn er nicht ganz an die Weltklasse seines Partners heran kommt. Kai Hansen ist auf dem Album übrigens (leider) deutlich seltener am Mikro zu hören und fungiert eher als Background-Sänger. Allerdings ist er ja auch in erster Linie Gitarrist, und seine Rückkehr ist immer wieder nicht zu überhören. Kommen wir zu Song Nummer drei, “Best Time”, bei dem der Band derart die Sonne aus dem Arsch scheint, dass man einfach gute Laune bekommen muss! Hier agieren alle drei Sänger im fliegenden Wechsel, und der Song ist aufgrund seiner cheesy Ausstrahlung entfernt mit “I Want Out” vergleichbar. “Mass Pollution” ist abermals ein typischer Deris-Song, enthält ein sehr geiles, rockiges Hauptriff und einen herrlich mitgrölbaren Refrain. Die zum Ende gesampelten Publikums-Geräusche und das mehrfach geshoutete “Make Some Noise!!” machen das Stück perfekt für die Festivalbühnen dieser Welt.

“Angels” stammt zwar aus der Feder von Sascha Gerstner, ist aber eigentlich ein typischer Kiske-Song und diesem wie auf den Leib geschrieben. Im Kontrast zum restlichen Album ist “Angels” relativ progressiv geraten und bietet Michael viele Gelegenheiten, sein Stimmvolumen voll zur Geltung zu bringen. “Rise Without Chains” ist wieder straighter mit vielen genialen Gitarrenläufen und abwechselndem Gesang. “Indestructible”, der einzige Song von Basser Markus Großkopf, wurde ein lässiger Groover, den man bereits vorab durch die Single kannte. “Robot King” ist mit knapp über sieben Minuten Spielzeit der drittlängste Song, und wechselt von einer recht vertrackten und schnellen Anfangsphase in erhabene Epik und wieder zurück. Bei den Vocals wird sich ständig abgewechselt, und oft singen Kiske und Deris auch gleichzeitig. Das kommt zwar nicht nur in diesem Song vor, aber es fällt bei “Robot King” am stärksten ins Gewicht. Das Synchron-Singen ist meiner Meinung nach ein kleiner Kritikpunkt, weil manche Passagen dadurch schon ein wenig schrill rüberkommen. Für Hörer, die keinen hohen Gesang mögen, ist das definitiv eine ziemliche Herausforderung. Das ist aber nur ein kleiner Kritikpunkt und tut dem Song kaum Abbruch, zumal er durch die wie immer unverwechselbaren, genialen Gitarrenorgien punkten kann.

Das kurze “Cyanide” ist mein persönliches Deris-Highlight. Ein treibender Rocker mit unwiderstehlichem Refrain, der unter die Haut geht. Aufgrund seiner nur dreieinhalb Minuten eignet sich “Cyanide” übrigens sehr gut als Anspieltipp, ebenso “Best Time”. “Down In The Dumps” von Michael Weikath präsentiert wieder die epischere Seite der Hamburger und lässt kein Auge trocken. Nach dem kurzen Intro “Orbit” kommt mit dem einzigen von Ur-Mitglied Kai Hansen geschriebenen Song das große Finale des Albums. “Skyfall” kennen wir ja schon als Single-Version mit gut sieben Minuten Länge. Die Single hat mich durchaus begeistert, wirkte bei kritischer Betrachtung aber auch ein wenig überladen. Man hatte ein wenig den Eindruck, die Band will zu viel auf einmal. Diese Probleme sind in der zwölfminütigen Album-Fassung aber vergessen. Die Übergänge sind viel besser arrangiert, und durch die zusätzlichen Intrumentalpassagen wirkt der ganze Song runder und kann seine volle Wirkung entfalten. Es gibt nicht viele Songwriter, die in der Lage sind, überlange Epen zu schreiben, die nicht eine einzige Sekunde langweilig sind und einem eine Gänsehaut nach der anderen bescheren. Kai Hansen hat schon mehrfach bewiesen, dass er zu diesen Genies gehört. “Skyfall” ist einfach nur Weltklasse, und beendet ein Album, das mit nur sehr wenig Kritikpunkten behaftet ist. Einer ist der von mir bereits erwähnte, synchrone Gesang, der teilweise etwas anstrengend klingt. Zudem vermisse ich zwei Songs, um das Spektrum der Band zu vervollständigen.

Zum einen hätte ich mir eine richtige Abrissbirne, nur mit Kai Hansen am Mikro, gewünscht, um auch der Frühphase der Band Tribut zu zollen. Und es verwundert mich, dass “Helloween” keine Ballade enthält, was ich eigentlich erwartet hätte. Ich kann zwar auch ohne Ballade auskommen, aber wir alle wissen, dass die Kürbisköpfe auch in dieser Disziplin glänzen können. Sämtliche Kritikpunkte sind natürlich jammern auf sehr hohem Niveau. “Helloween” ist eine Meisterleistung einer Band, die sich nach vielen internen Unruhen ihrer langen Laufbahn als absolute Einheit präsentiert, und wieder da stehen, wo sie vor über 30 Jahren schon einmal waren: an der Spitze des klassischen deutschen Metals!

Wertung: 9,5/10
Autor: Felix Schallenkamp