LONG DISTANCE CALLING – how do we want to live?

Das ist es also, das unfreiwillige Album zur Corona-Pandemie. Für die Instrumental-Rocker Long Distance Calling (LDC) aus Münster dürfte “How Do We Want To Live?” mit Platz 7 der deutschen Charts als finanziell erfolgreichstes durchgehen. Ihr bestes ist es jedoch nicht. Aber fangen wir vorne an: Das überaus gelungene Cover rangiert irgendwo zwischen Scientology-Flyer und 80er-Jahre Sci-Fi-Filmposter und passt damit perfekt zur dystopischen Stimmung der Platte. Themen wie künstliche Intelligenz und der Umgang des Menschen mit dem technologischen Fortschritt Technik sind der Rahmen zum Gesamtkonzept des Albums. Das passt gut in die Zeit, in der es entstanden ist und wird auch in den Videos dazu entsprechend aufgefangen. Gleich zu Anfang (“Curiosity Pt. 2”) merkt der Hörer schnell, dass auch für LDC die Reise in eine ungewisse Zukunft geht. Weniger Riffs, dafür mehr Elektro-Elemente liefern den Einstieg in die Platte und wecken Erinnerungen an alte Science-Fiction-Streifen. Und das mit einem Sound, der wahrlich weltklasse ist. Trotzdem dürfte dieses Album, bis auf wenige Ausnahmen, zumindest die Fans nicht wirklich vom Hocker reißen, die bislang von der rockigen Seite der Band angetan waren. Das Riff am Ende von “Voice” ist stark, auch “Immunity” überzeugt. Doch Stücke wie “Hazard” sind dafür einfach zu zahnlos und die elektronischen Passagen zu zahlreich. Die hat es bei LDC zwar schon immer gegeben, gleichzeitig wurde aber der Anteil härterer Passagen, die das Ganze brechen, deutlich zurückgeschraubt. Das ist schade, denn diesen Spagat hat die Band sowohl in der Frühphase („Avoid The Light“) als auch zuletzt („Boundless“) nahezu spielend geschafft. Weil das Album auch insgesamt überrascht, verwundert es wenig, dass ausgerechnet der einzige Song mit Gesang aufhorchen lässt: “Beyond Your Limits” klingt wie der gefühlvolle Soundtrack zu einem Film, der allerdings erst noch gedreht werden muss. Gastsänger Eric A. Pulverich (von der Band “Kyles Tolone”) liefert hier eine tolle Performance ab und erinnert dabei ein wenig an Phil Collins. Mit den Sprach-Samples hingegen haben es LDC auf dieser Platte aus meiner Sicht etwas übertrieben. Da ist abschließend auch das mittlerweile abgenudelte Zitat aus dem Film “Matrix” zu hören, dem sich seit Jahrzehnten auch zahlreiche Bands der härteren Gangart bedient haben: Der Mensch als Plage, als Krebsgeschwür des Planeten. Musikalisch wie auch erzählerisch scheint sich der Anspruch der Band mit diesem Album aber ohnehin verschoben zu haben. LDC selbst nennen große Namen wie Pink Floyd, Muse und Tangerine Dream als Einflüsse – Gruppen, die sich ebenfalls nicht auf ein Genre haben festlegen lassen. Das dürfte allerspätestens jetzt auch auf LDC zutreffen. Denn „How Do We Want to Live?“ ist weniger ein Album, denn ein Soundtrack zu einer derzeit weltweiten Stimmung. Diese Klangreise ist bedeutungsschwanger, anspruchsvoll, pathetisch und wird im audiovisuellen Live-Kontext sicher prima funktionieren. Rein musikalisch aber hat die Band bereits Spannenderes abgeliefert.

Wertung: 6/10
Autor: Florian Forth