Muskelrock im Folketshus

Alvesta (SWE), 06.11.2021


Wenn in hiesigen Landen die Temperaturen sinken, bleibt nur eins: Man muss wohl ins Ausland. Na gut, da ist Schweden nicht unbedingt die erste Wahl für Schön-Wetter-Fans. Das ist uns aber egal, denn nach mehr als zweijähriger Abstinenz ist es nun endlich mal wieder möglich, das Kultfestival im Herzen des Smalands zu besuchen. Danke des grauen und regnerischen hamburgähnlichen Wetters, brauchen wir uns auch nicht groß umgewöhnen. Die Muskelrock Location, das Tyrolen, ist schon seit Wochen Winterfest gemacht und geschlossen, doch die Freunde des Tyrolens waren in Corona Zeiten nicht untätig und haben im nächsten Ort, Alvesta, im dortigen Folketshus, einer Art Gemeindehaus, Hand angelegt und dort mal mächtig den Laden renoviert. Hier im Keller des Folketshuses findet mit einer kleinen Muskelrock Indoorversion die erste Veranstaltung seit Jahrzehnten statt. Das ist Grund genug für uns, ein langes Wochenende In Alvesta bzw. im Tyrolen zu verbringen. Die frisch strahlende Location besichtigen wir als erstes mit Muskelrock-Kopf Jacob, bevor wir mit unserer nächsten Aktivität, einem Besuch der legendären Bullet Bar im etwa zwanzig Kilometer entfernten Växjö, den Abend fortsetzen. Dort verbringen wir einen feucht fröhlichen Warm-up Abend mit einigen Freunden und Musikern. Eine tolle Einstimmung auf das bevorstehende Muskelrock. Ausklingen lassen wir den Abend in unseren eigenen vier Holzwänden zusammen mit Oskar von Night bei einigen von uns mitgebrachten Astra Bieren in dem Tyrolen Backstage. Ein rundum gelungener erster Abend geht morgens um halb vier dem Ende entgegen.

Der nächste Tag wird ruhig eingeläutet mit einigen Litern Kaffee und einem guten Frühstück. Die Zeit verrinnt, wir machen uns am späten Nachmittag auf dem Weg ins benachbarte Alvesta und sammeln auf dem Weg noch Hampus Klang ein, dem wir von unserem letzten gemeinsamen Treffen das beim Heavy Metal Maniacs Festival vergessene Bullet Banner vorbeibringen. Am Folketshus angekommen, treffen wir wieder einige bekannte Gesichter und machen uns als erstes auf den Weg zur neuen Bar. Unser Ticket beinhaltet ein Essen, das wir uns als Grundlage gleich mal zu Gemüte führen. Ein super leckerer Burger mit Kartoffelspalten verschwindet schnell in unserer Körpermitte und bringen das erste Wohlgefühl des Abends.


Satt und pünktlich entern die Göteborger Powerrocker Hot Breath die Bühne und bringen gleich mal mit „What You’re Looking For, I’ve Already Found“ mächtig Stimmung in das Folketshus und leiten damit den musikalischen Teil des Muskelrocks ein. Der Vierer um Fronterin Jennifer Israelsson ballert seinen Retro Rock mit viel Energie den vor der Bühne stehenden Metallern um die Ohren und die Reihen füllen sich. Die Resonanz auf ein Indoor Muskelrock war leider nicht so hoch wie erwartet, somit hat man zumindest immer und überall genügend Platz im Saal. Hot Breath, die aus Mitgliedern der leider schon aufgelösten Honeymoon Disease und Hypnos bestehen, zocken sich straight durch ihre Setlist mit Tracks wie „Still Not Dead“, „Right Time“ oder „Magnetic“. Der Sound ist echt amtlich und die Boxen müssen einiges aushalten. Die Musik geht einfach in die Beine und in den Kopf und so mache ich mich direkt nach dem letzten Song, „Bad Feeling“, meinem Lieblingssong, auf den Weg zum Merchstand, um mal etwas Geld unter das Volk zu bringen. Wow, das war mal ein geiler Opener und live haben Hot Breath noch mehr Power zu bieten als auf Konserve, und die fand ich schon echt stark.


In einer ausgedehnten Trink- und Rauchpause, stelle ich irritiert fest, dass wir heute nicht die einzigen Deutschen vor Ort sind. Dann steht mit Henrik Palm der nächste Act auf der Bühne. Sagte mir im vorwege nix, also habe ich mich auf Youtube mal auf Stand gebracht. Interessante Band, auf die ich echt mal gespannt bin. Ein melancholisch doomiger Heavy Post Rock mit Industrial Elementen wabert durch den Saal und versetzt einen in Tranceartigen Zustand. Die Beleuchtung ist meistens passend eher düster und auf dem Backdrop wird über einen Beamer ein Judas Priest Live Auftritt geworfen. Alles zusammen ist ein irgendwie sehr surreal wirkender Auftritt des ehemaligen Ghost und In Solitude Gitarristen, der aber echt fesselt. Gerade mit Songs des aktuellen Albums Poverty Metal wie Sugar, Concrete Antichrist, Destroyer und Nihilist punkten Henrik Palm bei mir mächtig, den es schwingt irgendwie immer etwas Ghost im Gesang oder einzelnen Riffings mit, mir gefällt es. Schon nach wenigen Songs strikt die Technik bei diesen morbiden Klängen und so stehen Henrik und seine Band plötzlich im Dunkeln. Eine Sicherung hat den Geist aufgegeben und damit sogar einen stillen Alarm ausgelöst. Gut, wenn man einen Feuerwehrmann im Team hat, der den anrückenden Kollegen Entwarnung geben kann. Nach wenigen Minuten geht es weiter, anfangs noch ohne Priest Video im Hintergrund. Die Musik scheint nicht jedermanns Sache zu sein und so lichten sich die Reihen vor der Bühne. Einerseits verständlich, andererseits irgendwie schade. Diese Musik ist echt schwer zu greifen, aber dennoch hat der etwas gelangweilt wirkende Henrik eine unbeschreibliche Atmosphäre geschaffen. Viele Stimmen hört man im Anschluss des Auftrittes, die gleicher Meinung sind. Aber genau die musikalische Mischung ist es, was für mich das Muskelrock so besonders macht.


Die nächste Band ist dann wieder um einiges eingängiger unterwegs und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich bei den ebenfalls aus Göteborg stammenden Spiders die Reihen vor der Bühne wieder gut füllen. Die charismatische Fronterin und Multitalentin Ann-Sofie Hoyles hat von Beginn an die Menge voll im Griff. Die zierliche Schwedin ist ein echter Vulkan, der mit den ersten Akkorden zu „Hang Man“ ausbricht. Egal, ob mit Rasseln, der Gitarre bei „Burning For You“ oder der Mundharmonika zu „Shake Electric“ macht Ann-Sofie eine Super Figur. Dazu heizt sie mit ihren energischen Gesten immer wieder das Publikum an. Das nenne ich mal eine Fronterin und mit ihrer Energie lässt sie den Rest der Band doch meistens sehr blass wirken. Songs wie „Killer Machine“, „Hard Times“ und „Higher Spirits“ sind einfach so unfassbar gute Rock Songs, dass einem das Dauergrinsen im Gesicht steht. Leider ist dann mit „Control“ und dem dynamischen „So Easy“ die Spielzeit auch schon am Ende angekommen. Zum letzten Song gesellt sich Ann-Sofie noch zu Drummer Rickard Harrysson, um mit ihm zusammen noch ein Schlagzeugsolo zum Besten zu geben. Diese Frau ist wohl echt nicht kaputt zu bekommen. Was für ein intensiver Auftritt, der einfach nur mächtig Laune macht. Für viele waren Spider wohl schon die Headliner des heutigen Tages, denn einige verlassen im Anschluss die Location. Ein großer Fehler, wie ich schon mal Vorweg nehmen kann.
In der Pause widmen wir uns mal der zweiten Runde des ebenfalls im Eintrittspreis enthaltenen lustigen Teichangeln. Hier wird mit einem am Einlass ausgehändigten Zettel eine Angel bestückt und diese in eine mit einem Vorhang verhängte Tür ausgeworfen. Wenn etwas angebissen hat, zieht man die Angel wieder zurück und am Ende hängt ein kleiner Brotbeutel. Hier sind nun Merchandise Sachen drin, bei uns jeweils eine coole CD und ein Muskelrock Aufnäher. Auch Shirts sollen hier heute schon geangelt worden sein. So etwas macht eben den Charme und die Liebe zum Detail dieses Festivals aus – tolle Idee!


Dann nach einer großzügigen letzten Umbaupause stehen nun noch die Lokalmatadore Night auf der Running Order. Sehr geil zu sehen, wie groß der Zusammenhalt und die Freundschaft auch bandübergreifend ist. Während das Quintett auf der Bühne Aufstellung nimmt, passiert das gleiche vor der Bühne und Ambush Fronter Oskar und Gitarrist Olof stehen in der ersten Reihe, um den Rest ihrer Band in persona Schlagzeuger Linus und Langzeitgitarrenersatz Oskar Andersson anzufeuern. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, als Night mit ihrem Kracher „Burning Sky“ ihre Setlist eröffnen. Night ist eine Band, die mich mit ihrer Entwicklung wirklich gerade in den letzten Jahren überrascht hat. Seit den ersten Auftritten hat sich besonders Fronter Oskar zu einem echten Charismaten entwickelt, der inzwischen sogar mit reichlich Stageacting aufwartet. Toll zu sehen, was die Jungs dadurch für einen Spaß auf der Bühne haben. Auf ihre letzte Scheibe „High Tides – Distant Skies“ musste ich in physischer Form lange warten, bis sie ihren Weg in meinen Player fand. Seitdem dreht dieser Silberling regelmäßig seine Runden mit ebenfalls heute natürlich live gespielten Songs „Under The Moonlight Sky“ oder dem epischen „Crimson Past“. Der Vierer zockt sich durch ein Best Of ihrer bisherigen Veröffentlichungen. Darunter auch so geile Nummern wie „Fire Across The Sky“ und „Across The Ocean“, bei denen Basser Joseph sich mächtig in Szene setzt und mit Fronter Oskar auch mal die Instrumentenhälse kreuzt. Was für eine Energie, die auch von der immer noch gut gefüllten Menge vor der Bühne mit reichlich Applaus bedacht wird. Bei dem genialen „Feeling It Everywhere“, bei dem Gitarrist Sammy sogar mal den Gesangseinsatz verpasst, entsteht bei mir eine kleine Gänsehaut und schon wird der letzte Song des Abends in Form von „Surrender“ angestimmt und der Saal brodelt. Die Ambush-Fraktion vor der Bühne hat sichtlich ihren Spaß an der Show und sie entpuppen sich als textsichere Night Fans. So habe ich im Anschluss auch von Ambush Oskar erfahren, dass wir die Zugabe „Where Silence Awaits“ seinem Wunsch zu verdanken haben. Sehr gute Wahl Oskar – Danke!

Damit ist dann leider auch die erste Indoor Muskelrock-Version Geschichte. Ein wirklich toller und gelungener Wiedereröffnungsabend im Folketshus. Die Freunde von Tyrolen haben in den letzten Monaten einen erstklassigen Job gemacht und der wohl etwas angestaubten Location neues Leben eingehaucht. Der Veranstaltungskeller wurde in seiner ursprünglichen Optik liebevoll wieder hergestellt und hat sich mit einem amtlichen Muskelrock zurückgemeldet. Vielen Dank an meine Frau und unsere Freunde, die dieses Wochenende trotz des spätherbstlichen Wetters zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Wir sehen uns spätestens im kommenden Mai wieder bei dem stärksten Festival der Welt!!!

Autor & Pics: Tino Sternagel-Petersen