NERVOSA, BURNING WITCHES
Essen, Turock, 07.08.2022
Mädelsabend. So ein richtiger? Nein, hoffentlich nicht. Rein musikalisch betrachtet jedenfalls wird besonders die zweite Hälfte genderloser, aber dazu später mehr. Hätten Nervosa 2022 nicht eines unserer zehn Alben des Jahres abgeliefert, wären wir heute gar nicht hier. Zunächst einmal darf ein etwa zur Hälfte gefülltes Turock, der Thekenbereich oben war abgesperrt, Zeuge der Darbietung eines gereiften Frauenquintetts werden, das hier trotz Soundproblemen dennoch einen umjubelten Start hinlegt. Ob der Bandname Burning Witches sich am ersten Album von Warlock anlehnen darf, muss heute nicht mehr diskutiert werden. Die Leadgitarre schaltet der Mischer versehentlich erst später dazu und Shouterin Laura, die ihren holländischen Akzent in den Ansagen auch gar nicht verbergen will, brüllt zunächst mal gleichzeitig in zwei Mikrofone, aber beide scheinen erstmal nicht angeschlossen zu sein. Was aber auf jeden Fall funktioniert, ist die schon vor Beginn den Laden einräuchernde Nebelmaschine. Trotz allem wird der Fünfer aber stark bejubelt, weil der amtlich gezockte, kräftige und von Laura mehrfach als oldschool bezeichnete Heavy Metal im Vordergrund steht. Viele im Turock bemerken den amtlichen Druck vom Schlagzeug und wir beobachten viel Gebange und fliegende Haare, vor und auf der Bühne. Einige „Ohoho“-Chöre wie im Titeltrack „The Witch Of The North“ animieren die Menge zusätzlich. An den Titel „Hexenhammer“ erinnern wir uns, sonst kann das Material nicht leicht wiedererkannt werden, auch wenn ganze fünfundfünfzig Minuten gespielt und unter deutlich mehr als Anstandsapplaus die Bühne verlassen wurde.
Um zehn nach neun dann endlich Nervosa! Ohne die Auftrittsverbote in der Pandemiezeit wären die zum Quartett Erstarkten schon wesentlich früher durchgestartet, aber sei‘s drum. Um Bandmitgründerin, Gitarristin Prika gesellen sich nun Basserin Mia Wallace von Abbath, Shouterin Diva Satanica von Bloodhunter und Drummerin Eleni. Letztere wird heuer von Ersatzdrummerin Nanu vertreten. Das Energiebündel Diva schmeißt den Laden, ihre Röhre growlt die Songs und brüllt die Ansagen, damit kriegt sie die Menge sofort. Beim zweiten Song fliegt ihre Jacke weg, zu den „Die, Die, Die“- Rufen gehen automatisch die Pommesgabeln hoch und bei „Time To Fight“ entsteht ein Pit. Es ist glücklicherweise nicht zu voll, da hat man Platz zum Bewegen. Was für eine Wucht, da geht richtig was. Bei nur einer Gitarre entstehen in den Soli Soundlöcher, hat bei dieser Band aber irgendwas Infernalisches. „Kill The Silence“ geht an alle Mädels in der Audienz und es knallt und rappelt. Slayer hat diese neue Besetzung ganz sicher auch schon mal gehört. Hier wird so sehr auf kernigen Thrash gesetzt, dass weibliche Attribute nach hinten rücken. Haben wir Prika grad noch bei der aktuellen Bandhymne „Rebel Soul“ propellerbangend spielen sehen, wird schon der Schlusspunkt gesetzt und aus dem Back ein folkiges, spanisches Lied eingespielt. Der Vierer hat zwar nur eine Stunde gespielt, aber die war gefüllt mit Vollgas und Überzeugung, sehr zur Zufriedenheit der Anwesenden. Besser, als wenn eine Band neunzig Minuten ein bloß okayes Programm spielt. Außerdem ist sich nach der Show keiner in der Band zu Schade dafür, das Equipment selbst abzubauen. Bleibt zum Schluss in der Summe, mit Nervosa ist unbedingt zu rechnen!
Autor & Pics: Britta Hollmann