Nikolaut 11

Essen, Weststadthalle, 02.12.2023


Es ist schon wieder Nikolaut, und das ist wieder einmal ausverkauft. Wo die stilechten Kumpels in Hirschaid beim Nights Of The Possessed abbangen, sind wir hier brav in Essen geblieben und frönen den seichteren und rockigeren Klängen. Den Eröffner in der Weststadthalle stellen heute Abend Dirty Denims. Deren Shouterin Mirjam Sieben fasst sich in ihren Ansagen angenehm kurz, spielt entgegen ihres Namens für einen Song aber nur eine sechssaitige Explorer und zappelt in einem durch. Bei den Beleuchtungsverhältnissen haben es die Fotografen schwer, ein klares Foto zu bekommen. Na gut, der Beleuchter spart zunächst noch Strom, aber das soll sich alsbald geben. Die Halle ist schon gut gefüllt und das gemischte Doppel aus Eindhoven bekommt die ersten Leute in Stimmung, was ihnen mehr als Anstandsapplaus einbringt. Durch ihre lockeren AC/DC Rhythmen geht der Sound ins Bein und man kann stellenweise auch etwas Girlschool heraushören. Ein fünfunddreißigminütiges und sehr gutes Aufwärmprogramm für den heutigen Abend!


Die nächste Band hat schon Größen wie AC/DC und Deep Purple supportet, dazu findet man großzügig illustrierte Reportagen im Netz. Doctor Victor reißt hier in Essen unter seinem Riesenbanner eine große Show mit viel Action und großen Bewegungen; man lässt keine Idee aus. Die ersten Reihen dürfen in die Saiten der SG greifen und alle beim kurzen Mitmach Drumsolo „Hey“ rufen. Einstudiert auch das zackige Synchrongebange und sehr wohl funktionierende Mitklatschspiele. Geliefert wird eine knallig breite Rock `n‘ Roll Show, doch es wird noch „Purple Rain“ gecovert … und das Publikum singt laut mit. Aha, so ist das also. Ob das zum Beispiel auch bei einem ganz alten Van Halen Track geklappt hätte, erfahren wir leider nicht. Unterm Strich wären eingängigere und mit weniger Unterbrechungen für Showeinlagen durchgezockte Songs der dargebrachten, stadionmäßigen Show zuträglicher gewesen, aber das kann ja bei dem Dreier noch werden. Schade auch, dass an den Theken kein Weizen verkauft wurde.


Als etwas mehr strange dürfen wir die nächste Band bezeichnen. Die Rotleibchen April Art aus Hessen sind grad auf Tour und kommen zunächst mal nu und tight wie System Of A Down rüber. Man will sich passend zum Titel des Festivals gekleidet haben. Komplett in roter Kleidung auf die Bühne gehen darf ansonsten nur Sammy Hagar, aber schwer zu sagen, ob das beim Gros überhaupt bekannt ist. Derweil heimst das Quartett schon lauten Publikumszuspruch ein. Shouterin Lisa-Marie spricht das Publikum mit „Liebes Essen“ an, fordert zum Pit auf und die Menge hüpft wie der Vierer. Als sie den Song „Paikiller“ ansagt, weiß jeder, dass es kein Judas Priest Cover sein wird … und richtig, denn der Track ist ein eigener und auf ihrem „Fighter“ Album von 2021.  Die gemeinsam Choreografien des Quartetts reichen so weit, dass selbst synchron zum Mitklatschen animiert wird. Nett dagegen, dass sie mal kurz „Masters Of Puppets“ angespielt haben.


Aber bevor es heute Abend zuuu Nu wird, freuen wir uns nun auf die Headliner, und die sind so cool gewählt, wie auf diesem Festival schon lange nicht mehr. Als nächstes kommt Hardrock für Erwachsene, nämlich die Schweden von Dead Lord, die wir bereits mehrfach live gesehen haben und ihre Qualitäten kennen. Die drei weißen Gitarren bewegen sich von ihren Mikroständern unentwegt vor und zurück, dass sich Basser Ryan die Lederjacke auszieht und sich das Hemd aufknöpft. Der Typ sei voll Porno, meint die schwarze Dame neben mir, also überträgt sich das pure Rock ‚n‘ Roll Feeling in ganzer Breite. Spätestens zum Titeltrack ihres noch immer aktuellen Albums „Surrender“ spendiert die ausverkaufte Weststadthalle sowas von Applaus, dass später von ganz allein spontane Mitklatschparts entstehen. Das unverzichtbare „Hammer To The Heart“ geht noch einmal mehr ab, auch schon vor dem bekannten Riff Raff Part, welches sie von AC/DC eingestreut haben. Was ein geiler Scheiß über siebzig Minuten Spielzeit, der hier heute Abend wahrscheinlich auch nur noch von heutigem mit Spannung erwarteten Headliner getoppt werden kann!


Und der lässt nicht lange auf sich warten, denn um kurz nach 22:00 Uhr wird das Intro abgespielt. Aber kann das echt sein, dass wir Audrey Horne zuletzt 2014 in der Markthalle Hamburg vor Grand Magus live gesehen haben? Kaum zu glauben … aber seit dem hat sich bei den Norwegern offensichtlich einiges getan. Zum Beispiel drei Alben, eins davon live, doch zunächst einmal trägt Basser Espen jetzt Bart und keine Mütze (das könnte wohl die gewesen sein, die heute Dead Lord Sänger Hakim trug). Die doppelte Paula von Arve und Thomas attackiert, nebeneinander wie Abschussrampen gen Hallendecke gerichtet. In Slowparts startet das Publikum sofort Hey-Rufe, na klar. Dem Slowmotion Groover „There Goes A Lady“ folgt ein kleines Solo, nachdem Sänger Toschi den Gitarrist zu seiner Linken als Michael Schenker angesagt hatte. Zu „Youngblood“ bekommen sie die Weststadthalle mächtig in Bewegung. Die irren Twin-Gitarren lassen die Fans jedes Mal durchdrehen. Das „Going Nowhere“ vom „Redemption Blues“ schallt noch nach dem Song durch die Halle, nachdem die Band die Bühne verlassen hat. Das Publikum wird die mit Chören geforderte Zugabe bekommen und stimmt in weiser Voraussicht schon mal den Überhit „Waiting For The Night“ an, obwohl man dazu kein Prophet sein muss, denn genau der Song wird noch kommen. Doch zuerst „Sail Away“. In der einzigen Ballade des Abends lässt Toschi lange mitsingen und hat erst jetzt seine Jacke ausgezogen. Letztendlich ertönt dann auch „Waiting For The Night“ und macht achtzig Minuten Spielzeit voll. Da passt der Titel „Don’t Stop Believin‘“ von Journey im Nachspann, als Soundtrack zum Verlassen der Halle.

Autor & Pics: Joxe Schaefer