Nord Open Air, Tag 2

Essen, Viehofer Platz, 30.07.2022


Am gestrigen Tag spielten hier bereits Indecent Behaviour, König Kobra, Drei Meter Feldweg, Nitrogods, Born From Pain, Toxpack, Unearth, Sick Of It All, und heute geht es weiter. Glücklicherweise etwas metallischer als gestern. Kurz vor pünktlich eröffnen Scraper den Samstag des Nord Open Airs. Der thrashende Fünfer aus Marl will uns mit auf eine Reise nehmen, die ohrenscheinlich auch ins Coreland geht. Modernere Rhythmen zu steigenden Temperaturen … da scheint noch mehr zu gehen, aber auf dem Gesamtgelände gibt es keinen Kaffee. Und den im Pappbecher aus dem Cafe Nord darf man nicht mit ins Außengelände, den für das Festival abgesperrten Viehofer Platz nehmen. Mal sehen, wie ich den Tag überstehe. Auf jeden Fall können Songs wie „Cold Resistance“ für diese halbe Stunde schon mal zum Mitwippen animieren. (Joxe Schaefer).


Seit 13:13 Uhr weiß endlich jeder, warum Dirk Weiß die ganze Zeit schon über das Gelände gelaufen ist, denn der steht jetzt auf der Bühne und leiht seine Shouts nämlich der nächsten Band, mit der er zusammen mit Disbelief Gitarrist Jochen und December Noir Drummer Fabian vor zwei Jahren eine EP abgeschmissen hat. Hier bei Sacrifire shoutet er nicht nur wie bei seiner Stammband Warpath, sondern singt auch mit seiner tiefen Stimme. Das wirft eine ungemeine Gothiclast ab, doch die insgesamt drei Gitarren riffen metallisch dagegen an. Wenn auch meist doomig langsam, aber ein Schlepper wie „Until We Die“ bohrt schon tief rein und erreicht die Audienz. Dementsprechend fett fällt auch der Beifall aus. So kann es weitergehen. (Joxe Schaefer).


Knife, die Abräumer des Jahres 2022 im Underground? Wahrscheinlich, legt man Maßstäbe wie den Auftritt hier, und die beim Der Detze Rockt Festival und beim Ruhrpott Metal Meeting (ach ne, das kommt ja noch) zugrunde, auf jeden Fall! Vierzig Minuten müssen an diesem warmen Samstagmittag reichen, um den Kirchvorplatz zum Kochen zu bringen. Natürlich ist dem auch spätestens beim zweiten Song so. Egal, ob “K.N.I.F.E” oder “White Witch, Black Death”, Knife machen mit ihrem speedigen Blackthrash mit Punkeinschlag alles platt. “Sacrifice” heißt der Song des Mittags, einmal in Eigenkomposition, einmal als Venom Cover live dargeboten. Für die Tapemenschen auch wahlweise als Bathory-Version am Merch, oder wer beim Lesen dieses Artikels verständlich zu spät ist, sich noch bei Idiots Records mit diesem Tape eindecken muss, ist das ein wunderbares Gimmick bis zum nächsten Album und bis zur nächsten Livemetzelei. (Matin Hil).


Wer ein wenig auf seinen Rücken achten muss, möchte sich zwischendurch mal setzen. Nur gibt es auf dem abgesperrten Gelände vor der alten St. Gertrud viel zu wenig Gelegenheiten dafür, und von den Treppen in der Nähe vom Notausgang wird man höflich vertrieben. Wer kann, setzt sich auf den Boden. Glücklicherweise ist die Umbaupause zu Dust Bolt nicht besonders lang, denn um fünf nach drei läuft das Intro. Die Thrasher waren vor Jahren schon mal hier und stehen derzeit wie ihre süddeutschen Kollegen von Traitor auf dem Sprung, auf der Karriereleiter eins höher zu klettern. Sie legen selbstbewusst mit viel Energie los und das überträgt sich sofort auf die dicht vor der Bühne stehende Audienz. Es werden die Riffs von den Podesten an den Bühnenaußen gefeuert, ein Schmaus für Ohr und Auge. Leider können sie das von Knife vorgelegte Tempo nicht ganz halten, aber die Menge mosht und bangt zufrieden mit. Die Lautstärke wurde aus irgendeinem Grund nach unten gepegelt und hätte gerne etwas kräftiger kommen können. Zum Schluss spielen die Bayern noch einen neuen Song, der leider auch nicht mehr den Tempodurchschnitt anhebt. So geht der Gig nach einer Stunde zu Ende und hinterlässt gemischte Gefühle. (Joxe Schaefer).


Pünktlich um halb fünf entern vorm mittlerweile reichlich gefüllten Viehofer Platz die Hamburger Death Metaller Endseeker die Bühne, um diesen mit feinstem Schweden-Tod der Marke „Left Hand Path“ zu beschallen. Die Vocals des sympathischen und agilen Fronters Lenny sind anfangs ziemlich übersteuert, was aber im Laufe des Gigs am Mischpult korrigiert wird. Ansonsten kommt der authentische Sunlight-Sound super rüber und ist voluminös und drrrrrrrrrrrrrruckvoll, so wie es sein soll, und man merkt der Band jederzeit ihre Spielfreude an. Endseeker sind natürlich bei weitem nicht die einzige Band, die den klassischen Stil alter Helden wie die Entombed, Carnage oder Dismember zelebrieren, aber sie gehören zu den besten, weil sie ein ebenso gutes Gespür für Melodien wie für Nackenbrecher-Riffs haben und einfach geile Songs schreiben. Es spricht nur für die Qualität der Band, dass sich das geile Entombed-Cover „Supposed To Rot“ nahtlos in die Setlist einfügt. Ich denke, LG Petrov hat von seiner versifften Wolke auf uns herab gelächelt. Nach einer Stunde endet der mehr als überzeugende Gig und hinterlässt reihenweise glückliche Gesichter. Mehr davon! (Felix Schallenkamp).


The Night Eternal haben in jüngster Vergangenheit einige Gigs absolviert, darunter auch auf dem Der Detze Rockt Festival. Der Fünfer ist im Moment allgegenwärtig, nur nach diesem Endseeker Auftritt wird es schwer, die Menge in Bewegung zu bekommen, doch sie lassen nix anbrennen bei ihrem Heimspiel bei einer Stunde Spielzeit als letzte deutsche Band. Ordentlich hochgearbeitet haben sich die fünf Jungs aus diesem Städtchen, wo zufällig auch das Cafe Nord beheimatet ist. Bei einem Album kommt fast das ganze Demotape für die Setlist noch dazu. Coverversionen bleiben trotz Überlegungen seitens der Band aus. Die Band ist in absoluter Spiellaune, was man besonders Sänger Ricardo anmerkt. Die Menge geht für diese Art von Heavy Metal steil und die Band beendet seinen Set mit einem Triumphzug und dem letzten Track ihres einzigen Albums „Moonlit Cross“. Arbeitssieg für die Jungs, Hut ab!  (Martin Hil).


Vielleicht spielte die Band zuvor etwas zu weit hinten im Billing und diese nächste zu früh. Aber sei‘s drum, denn jetzt treten die Livegranaten Death Angel an. Wer die Bay Area Jungs bereits öfter gesehen hat, weiß um ihre Qualitäten, besonders wenn sie im Original von Dio gesungene Stücke covern. Und Shouter Mark hat das definitiv drauf! Heute in Essen leider nicht, dafür knallen sie gleich mit dem „The Ultra-Violence“ Leads als Intro in den Bandhit „Mistress Of Pain“ rein, gefolgt vom nicht minder genialen „Voarcious Souls“. Was für ein Start mit dem 87er Debütalbum, noch immer eines der wichtigsten Thrashalben überhaupt. Die Band war hier 2017 Headliner, sag ich nur. Die ersten Crowdsurfer sind die logische Folge. Zu „The Dream Calls For Blood“ und „Moth To The Flame“ sehen wir Fäuste und Pommesgabeln in der Luft, sowie fliegende Haare und surfende Menschen. Ganz schön was los hier auf einmal und es herrscht eine grandiose Stimmung vor. Außerdem macht Shouter Mark sowieso die besten weil sympathischsten Ansagen, bindet die Bandvorstellung so mit ein, dass ihm das Publikum jedes Wort abnimmt. Da ist Riesenapplaus einfach die logische Konsequenz. Der auch schon bald zwanzig Jahre alte Klopper „Thrown To The Wolves“ macht den Sack zu, und dass Dios „We Rock“ im Anschluss von Band gespielt wird, kommt auch nicht von ungefähr. (Joxe Schaefer).


Bereits im Soundcheck hören wir Martin van Drunens Signature-Vocals raunzen. Der sagt ‚Death Fucking Metal‘ an und wir wissen, die Einheit von Asphyx steht in den Startlöchern, Essen plattzuwalzen. Auf dem diesjährigen Rock Hard Festival noch locker als Joker eingesprungen und als Helden gefeiert, darf die Erwartung heute groß sein. Zu ihrem grandiosen Eröffnungstriple „Botox Implosion“, „Death The Brutal Way“ und „Deathhammer“ kracht und scheppert es amtlich. So einige Rauch- und Funkensäulen werden an der Bühnenfront abgefeuert. Martin mischt die Sprachen in seinen Ansagen, da er viele Holländer im Publikum sieht. Daher kann er in der Bandvorstellung absichtlich seinen Namen mit dem von Drummer Husky vertauschen, ohne wirklich verwechselt zu werden. Zwar ist die Sonne inzwischen hinter den Häusern verschwunden, aber die Hitze steht noch und wird im Pit deutlicher. Natürlich geht auch hier das Crowdsurfen weiter, die Menge hat Spaß und mal sehen, ob das beim Headliner so bleibt.  An sich kann das N:O:A noch immer als ein tolles Festival beschrieben werden, ist aber nichts für rückenkranke Kaffeetrinker. Und wenn man sich Paradise Lost eh nicht antun will, freut man sich auf den Autositz und einen Becher Kaff To Go vonne Tanke. Den Rest übernimmt freundlicherweise Schriftführer Felix…ob das Paradies längst verloren ist…? (Joxe Schaefer).


Als Headliner eines extrem hochkarätigen Line-ups beim diesjährigen Nord Open Air entern pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit Paradise Lost die Bühne. Die britischen Urgesteine haben eine ganze Palette an wirklich göttlichen Alben in ihrem Repertoire, angefangen von den großen 90er-Klassikern bis hin zu aktuellen Geniestreichen wie „Medusa“. Leider schaffen sie es irgendwie nie, ihre eigentliche Erhabenheit live umzusetzen, was in der Regel immer denselben Grund hat. Meine Erwartungen sind daher eher zurückhaltend, aber auch neugierig. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Es ertönt das Piano-Intro des „Draconian Times“-Klassikers „Enchantment“, und beim ersten Riff wollen sich meine Poren gerade auf die erste Gänsehaut vorbereiten – bis wieder genau das passiert, was das große Problem bei so ziemlich allen Paradise Lost-Konzerten der letzten Jahrzehnte darstellt. Nick Holmes ist einfach ein grottenschlechter Livesänger, klingt eindimensional, drucklos und hat überhaupt kein Stimmvolumen. Der Sound ist recht gut, und auch wenn das Stageacting der Band relativ statisch ist, kann man musikalisch nicht meckern. Die Setlist zieht sich quer durch die gesamte Schaffensperiode der Engländer. Hier fällt mir als ollem Metal-Puristen auf, dass es viele Fans gibt, die im Gegensatz zu mir gerade die poppigeren Sachen abfeiern. Aber das ist ja Geschmacksache. Es kommen genug alte und neue Klassiker, die mich eigentlich äußerst glücklich machen würden. Das großartige „Blood & Chaos“ zum Beispiel. Eine ziemliche Überraschung ist dann „Eternal“ vom Über-Klassiker „Gothic“. Und auch die unverzichtbaren „Embers Fire“ und natürlich „As I Die“ fehlen nicht. Nur leider krankt alles an der Performance von Nick Holmes, der weder die Growls, noch den Gesang auf die Reihe kriegt, so dass ich bei „As I Die“ ohne Mikro, aber mit angemessenem Bier-Pegel alles versuche, um ihn zu unterstützen. Paradise Lost hinterlassen leider wieder mal einen zwiespältigen Eindruck und den Wunsch, sie einmal mit einer lebhaften, von Nick Holmes leidenschaftlich umgesetzten Gesangsleistung zu erleben. Aber ich denke, da wird nichts mehr draus. Bei keiner anderen Band geht die Schere in Bezug auf die Qualität der Studioalben im Kontrast zu den Live-Auftritten so stark auseinander. Sehr schade.
Das tut dem diesjährigen Nord Open Air aber im Ganzen keinen Abbruch. Ein derart hochkarätiges und gut organisiertes Festival ohne Eintritt muss man erstmal wo anders finden, und nach fast zwölf Stunden Konzert-Marathon verlassen die Völker zufrieden das Gelände. Freuen wir uns auf 2023!

(Felix Schallenkamp).

Autoren: Felix Schallenkamp, Martin Hil, Joxe Schaefer

Pics: Baalphemor, Joxe Schaefer