OVERKILL – scorched

Overkill sind ja ein bisschen wie das bekannte deutsche Waschmittel: Da weiß man, was man hat! Von daher erwartete ich keine Riesenüberraschungen auf dem neuen, nun bereits zwanzigsten Album der Bandgeschichte. Overkill stehen nun mal seit vielen, vielen Jahren für soliden, aggressiven Thrashmetal mit dem gewissen Groove, und die vorab veröffentlichte Single „The Surgeon“ war dann auch in etwa genau das, was ich vom neuen Album „Scorched“ erwartete. Schnell, aggressiv, mit Doublebass-Parts und diesem typischen DD Verni-Bass. Thrashmetal vom Feinsten und mit den unvergleichlichen Vocals eines Bobby „Blitz“ Ellsworth, die für mich einfach perfekt zu dieser Art von Musik passen. Eine Thrash-Granate par excellence, sogar mit Wiederkennungswert, in etwa das, was ich mir unter einem neuen Overkill-Album vorgestellt, oder besser: erhofft hatte.

Also alles wie immer? So, wie Overkill das nun schon seit „Feel The Fire“ als eine der sicherlich fleißigsten Bands des Genres in regelmäßiger Folge abliefern? Alles so, wie wir es von Overkill seit Jahren kennen und eventuell ein bisschen Langeweile, wie es der ein oder andere in meinem Bekanntenkreis behaupten könnte: nix wirklich Bewegendes mehr seit „Ironbound“? Mal davon abgesehen, dass die genannte nicht meine persönliche Meinung ist, hat mich die Erstlauschung von „Scorched“ nicht nur fast schon verblüfft, sondern nahezu vom Hocker gerissen. Um es erstmal kurz zu machen: DAS ist mit Sicherheit das beste Overkill-Album seit „Ironbound“, das ist eines der besten Overkill-Alben überhaupt.

Ja, ich weiß, ich habe „The Wings Of War“ in meinem damaligen Review satte neun Punkte gegeben, weil es mir nach den ersten Durchläufen so dermaßen gut gefallen hat. Und ich halte es nach wie vor für ein sehr gutes Album. Aber Leute, „Scorched“ ist noch besser! Und das bringt mich diesmal in Bezug auf die Bewertung in Schwierigkeiten. Aber dazu später. Was mich sehr überrascht hat, ist, wie abwechslungsreich „Scorched“ unter dem Strich ausgefallen ist. Das neue Album ist kein reines Thrash-Album, auch wenn die eingängige Vorab-Single das vielleicht erwarten ließ. Und natürlich gibt es neben „The Surgeon“ noch weitere echte Beweise dafür, dass Overkill nach wie vor eine Thrashmetal-Band sind, wie könnte es anders sein. Und was für eine! Der Albumtitel ist eine Reminiszenz an das erste Album „Feel The Fire“. Und Overkill schaffen es tatsächlich, zu beweisen, dass in ihnen musikalisch noch das gleiche Feuer brennt wie anno 1985. Das kann nicht jede Band von sich behaupten.

Aber Overkill thrashen, trotz aller musikalischen Erfahrung und Professionalität, die sie mittlerweile besitzen, mit der gleichen Wildheit und Ungestümtheit los wie damals. Beispiele gefällig? Hört euch „Harder They Fall“ oder „Twist Of The Wick“ an. Besser noch: das sind Songs, die ins Ohr gehen und einen Wiedererkennungswert besitzen. Was zugegeben bei Overkill in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall war und dazu führt, dass ich „The Wings Of War“ heute keine neun Punkte mehr geben würde. Aber bisher haben wir nur von dem gesprochen, was man mit Fug und Recht von einer neuen Overkill-Scheibe erwarten darf: feinsten Thrashmetal.

Kommen wir zu dem, was mich überrascht hat, was ich so zumindest nicht erwartet habe: den Abwechslungsreichtum von „Scorched“. „Fever“ hat eindeutig Black Sabbath-Einflüsse und Bobby kann endlich mal wieder beweisen, dass er nicht nur knurren und kreischen, sondern auch richtig gut singen kann. Schöne, schwere Gitarrenriffs und ein sehr bluesiges Solo. Klasse. „Bag O‘ Bones“: Herrliche Groove-Metal-Nummer mit einem weiteren, sehr geilen Gitarrenriff und ebenso im Gedächtnis bleibendem Refrain. „Goin Home“ und „Know Her Name“ sind schon fast eher traditioneller Metal im Mid-Tempo, beide ebenfalls mit ins Ohr gehenden, markanten Gitarrenriffs und Refrains mit Wiedererkennungswert, die man live problemlos mitgrölen könnte. Mein Lieblingsstück unter vielen sehr guten aber ist ein Titel, bei dem mir dauernd „We Rock“ durch den Kopf geht: „Won’t Be Coming Back“. Hammer, das Ding ist ein Rocker! Sehr geil! Herrliche, klassische Gitarrenlinie. Das ist kein Thrashmetal, aber es rockt wie Sau! Ich bin gegeistert!

Was sich Overkill hier während der Pandemie (zum ersten Mal war man bei der Entstehung nicht gemeinsam im Studio) alles haben einfallen lassen, sucht Seinesgleichen. „Scorched“ ist für mich an Kreativität und Einfallsreichtum kaum zu überbieten. Kirchenglocken, Kuhglocken, Streichinstrumente, die Band zieht alle Register, ohne dass es aufgesetzt klingt. Die Platte hat zehn echte Songs, die es wert sind, sie so zu nennen. Einfach, weil sie im Ohr bleiben. All killer, no filler, wie es so schön heißt. Leute, ohne Scheiß, da kommt was ganz Großes auf euch zu! Ich mag nicht den abgedroschenen Satz vom Anwärter auf das Album des Jahres benutzen, aber ich weiß ehrlich nicht, was da 2023 noch kommen soll, damit „Scorched“ nicht ganz, ganz vorne in meinen persönlichen Jahrescharts landet. Wie gesagt, wenn ich „The Wings Of War“ wegen fehlender ‚Nachhaltigkeit‘ nachträglich auf acht Punkte herunterstufe, dann kann ich „Scorched“ (im Übrigen in meinen Augen auch eines der besten Overkill-Cover ever) mit ruhigem Gewissen satte neun von zehn Punkten geben. Es ist noch besser als das letzte und ich bin davon überzeugt, dass ich diese Aussage in der Zukunft nicht zurücknehmen werde. Diesmal nicht. Das Album ist Bombe. Dringende Kaufempfehlung!

Tracklist:
01  Scorched 6:13
02  Goin Home 4:31
03  The Surgeon 5:33
04  Twist Of The Wick 5:34
05  Wicked Place 5:00
06  Wont Be Coming Back 4:30
07  Fever 5:33
08  Harder They Fall 4:23
09  Know Her Name 5:11
10  Bag O Bones 4:37

Bobby „Blitz“ Ellsworth – Vocals
D.D. Verni – Bass
Dave Linsk – Lead Guitar
Derek Tailer – Rhythm Guitar
Jason Bittner – Drums

Wertung: 9/10
Autor: Wolfgang Haupt