Riffing For Tolerance

Köln, Club Volta, 19.11.2022


Endlich ist der blau-gelbe neunzehnte November. Auf dieses geil besetzte Benefiz-Festival, vor dem niemand nach Gästeliste fragt, weil der Erlös an den Verein Ukraine Hilfe-Berlin e.V. geht,  welcher dort die Bevölkerung an den erforderlichen Stellen unterstützt,  haben wir uns tierisch gefreut. Nur leider wird die Vorfreude etwas durch Absagen getrübt. So standen wir noch vor der Halle und versuchten, die Originaltickets der krankheitsbedingt Verhinderten loszuwerden, doch das gestaltete sich nicht einfach, denn der Club Volta war ausverkauft und daher reisten nur Fans mit Tickets an. In der Halle spielten schon die Death Thrasher aus Limburg, die noch immer ihr aktuelles Album „The Cannibal Instinct“ promoten und die wir schon mal in Bochum im Vorprogramm von Dust Bolt gesehen haben. Leider haben wir außer einem gewissen Coreeinschlag bei Bloodspot nicht mehr viel mitbekommen. Nur muss es hier heiß hergegangen sein, denn ihr Shouter performte in kurzen Pants und Barfuß (nicht der einzige im Laufe des Festivals), während wir noch vor dem Eingang in der Kälte standen.


Zuletzt waren Traitor in aller Munde, als sie zum Film „Total Thrash – The Teutonic Story“ den Titeltrack lieferten, mit gesanglicher Unterstützung von Tom Angelripper. Heute aber sind sie leider nicht auf der Stage, sondern werden dort durch Fateful Finality ersetzt. Und wir ahnen schon im Soundcheck Böses, denn bereits da schimmert es noch einmal coremäßig durch. Thrash ist bei den Stuttgartern schon mit drin, würden wir anfangs noch sagen und als es losgeht, wird von den Thrashhorden vor der Bühne gemosht und spaßig gerempelt. Hier wird auf die Wechselpower von zwei Sängern gesetzt, denn beide Gitarristen bellen die Vocals. Wieder werden kurze Hosen getragen, in der Audienz eher weniger, denn es herrscht schon ein temperaturmäßig kühler Zug in der Halle, dem wir nur den positiven Aspekt von frischer Atemluft abgewinnen können. Der Track „Social Terror“ vom neuen Album „Emperor Of The Weak“ wird angesagt und wir notieren, ihr Umschalt auf langsamere Stampfphasen kommt auch im neuen Material vor. Das scheint Stimmung in den Pulk zu bringen. Die Baden-Württemberger können Laune machen, dass man zur Hälfte des Sets viele ‚Arme hoch‘ erarbeitet sieht. Hut ab für den Fünfer, ein sich abrackernder Ersatz im Slot von Traitor. Apropos Hut ab … Abandoned-Holger ist auch anwesend … aber nochmal: Es ist wirklich sehr schade, dass Traitor heute nicht spielen konnten.


Wenn wir doch mal ehrlich sind, hätten die Berliner aus zig verschiedenen Gründen heute headlinen können. Oder vielleicht auch sollen, wären laut Kumpel Micha nämlich auch die bekanntesten Thrasher neben Pripjat. Aber andererseits könnten hier nicht nur Space Chaser headlinen, sondern alle anderen Bands ab jetzt auch, zumal wir davon im der Vergangenheit schon häufiger Zeuge wurden. Sehr wahrscheinlich auch mit ein Grund dafür, dass bei der hohen Qualität aller Bands heute die hochkarätig besetzte Veranstaltung (nochmal Scheiße wegen Traitor) ausverkauft ist. Wahrscheinlich deswegen, weil der Soundcheck sich etwas gezogen hat, starten die Fans zur Erlösung gleich vorneweg mit Circle-Pits und wir beobachten, wie bei der Hauptstadtbande sofort bis hinten die Arme hochgehen. Siggi und seine Jungs legen ein sehr hohes Energielevel an den Tag, dass Stagediver die logische Folge sind. Strammes Gehämmer der knalligen Drums ist im gesamten Saal zu hören. Nur vorn links außen können wir die Songs nur erahnen, aber lustig, dem gesamten Treiben on Stage zuzusehen. Zum Schluss ergreift Gitarrist Leo das Wort und teilt uns allen mit, dass Shouter Siggi gerade aus Las Vegas zurückgekehrt wäre, wo er geheiratet habe und sagt in diesem Zusammenhang lustigerweise „Tied Down“ an. Danach lässt Siggi zu den Takten von „Skate Metal Punks“ noch einmal im Takt elastisch seine Hüften wackeln und Schluss ist. Starker und headlineverdächtiger Auftritt, und das noch so früh am Abend, aber wir haben auch nichts anderes erwartet.


Kommen wir nun zur mitveranstaltenden Band. Die ukrainischen Jungs von Pripjat leben inzwischen längst in Köln und haben natürlich ein persönliches Interesse an einem Erfolg dieser Veranstaltung, damit für den guten Zweck ordentlich Kohle zusammen kommt. Natürlich hätten auch sie den Headlinerslot fantastisch ausfüllen können, macht aber einen sympathischeren weil bescheidenen Eindruck, sich selbst etwas tiefer im Billing anzusiedeln. Zwischen Soundcheck und Startschuss nochmal teamgeiststärkende Shakehands untereinander, dann steigt das Quartett tight und scharfkantig in den Set ein. Müßig zu erwähnen, dass auch hier mit Circle-Pits gefeiert wird und wir dürfen an den Reaktionen der Menge ablesen, Pripjat haben offensichtlich die meisten Fans hier. Nach einer Ansage von Shouter Kirill habe man seit mindestens drei Jahren nicht mehr hier gespielt, da gibt es auf beiden Seiten der Stage also einiges aufzuholen. Barfuß-Gitarrist Eugen habe schon den ganzen Tag Gänsehaut und wie er in seiner bewegenden Ansage noch weiter verkündet, was auf der Welt los ist, wie mutige Menschen im Iran auf die Straße gehen, spricht er sich im Namen aller in drei Sprachen für Zusammenhalt aller Menschen aus sagt dann „Kiev Burns“ vom 2018er „Chain Reaction“ Album an, ein Song, der also schon vor Kriegsbeginn geschrieben wurde. Zum Abschluss nach fünfzig Minuten rufen sie bei der Verabschiedung die Worte: „…und wir spielen Thrash Metal!“ Logo, das weiß hier jeder, aber es wirkt heute irgendwie viel intensiver …


Seit einigen Jahren gehören Stallion zur Speerspitze der Speedmetaller in unserem Lande. Außerdem sind die Süddeutschen bekannt dafür, jederzeit ganz klar Farbe zu bekennen, besonders wenn es gegen Faschismus geht. Deswegen ist natürlich das knappe „Kill Fascists“ mit im Set, dessen Titel auch in deutlichen Lettern auf der Klampfe von Äxxl abzulesen ist. Die kleine Armee der zwei weißen Flying V unternimmt auf den Brettern ein hohes Maß an Bewegung mit unheimlich vielen Seitenwechseln. Knaller wie „No Mercy“ und „Wild Stallions“ lassen den Partyfaktor noch einmal größer werden. Shouter Pauly bekommt auf Befehl alle Arme des Publikums hoch bis hinten vor das Mischpult, sein Run über die Bühne mit der Regenbogenflagge gibt Sonderapplaus. Jedoch wissen wir nicht, ob der silbern glänzende Eierschutz irgendwie noch immer so gut der Bandphilosophie entsprechen kann, wie vielleicht anfangs. Doch wenn Stallion mal irgendsowas wie eine Ballade geschrieben haben, dann „Die With Me“, was die Thrashmenge offensichtlich sehr gerne annimmt. Danach gibt es mit „Underground Society“ noch amtlichere Mische und Pauly kriegt zum Schluss im unverzichtbaren „Rise And Ride“ noch alle Höhen, und das verdient höchsten Respekt, dass „Canadian Steel“ danach nur noch Formsache ist. So muss das sein, und wir müssen sagen, grad den dritten headlinerwürdigen Auftritt gesehen zu haben.


Der echte zum Finale auf die Bretter steigende Headliner, falls das auf einem solchen Event überhaupt noch wichtig ist, heißt heute Dust Bolt. Die Bayern starten wieder mit „The Fourth Strike“ ein, einem ihrer besten Songs mit einem immer wiedererkennbaren und mitreißenden Chorus. Da sollte doch nichts schief gehen, sollte man meinen, zumal die Jungs bereits in den US of A auf Tour waren und in hiesigen Gefilden auf großen Festivals spielen. Und tatsächlich knallen sie gut was weg, es gibt aber nicht ganz so viel Geschiebe wie bei den Bands zuvor, man geht im Pulk zu fortgeschrittener Stunde etwas bedächtiger zur Sache. Auffällig ins Auge sticht on Stage die weiße Hose des Bassers, die an das Outfit von High Spirits erinnert, und von Shouter Lenny die Winchester, also Telecaster – sehr selten im Thrash zu sehen (und hören). Zur Telecaster fallen uns grad nur alte Antilles ein. Die Gesamtheit der Songs, die hier von den Bayern aus dem Zylinder gezogen werden, wirken auf Dauer zusammen recht gleichförmig, wie wir das bei der Band auf den großen Bühnen so nicht erlebt haben. Doch offensichtlich bremst das die Stimmung nicht. „If You Listen To Fools …“ steht analog des Songs „Mob Rules“ auf dem Back der Festival-Shirts, doch den Black Sabbath Song hat aber heute leider niemand gecovert. Wir erwischen noch den letzten Bus und blicken zurück auf ein absolut gelungenes Festival. Demnach sollte bei fünfhundert verkauften Karten hoffentlich eine anständige Summe zusammengekommen sein. Die Gäste waren in bester Stimmung, absolut feierwütig und für Trashverhältnisse positiv zu vermerken, befanden sich viele Mädels in der Audienz. Bei einem solch hochkarätigen Billing, das es auch noch ohne Traitor war (hatten wir das schon erwähnt?), zeigen wir alle Daumen nach oben. Vielen Dank an alle Beteiligten für einen absolut gelungenen Abend!

Autor & Pics: Joxe Schaefer