ROTTING CHRIST – the heretics

Die Griechen Rotting Christ haben über die Jahre ihren ureigenen Stil entwickelt, der auf den beiden letzten Alben seinen kreativen Höhepunkt erreicht hat. „Kata Ton Daimona Eaytoy“ (2013) sowie „Rituals“ (2016) haben mich damals sehr in ihren Bann gezogen, sind in ihrer Ausrichtung und Aufmachung aber im Grunde fast gleich und könnten auch Teil 1 und 2 eines Gesamtwerks sein. Auch „The Heretics“ entfernt sich nicht allzu weit davon, ist insgesamt aber etwas weniger düster und leicht gitarrenorientierter ausgefallen. Die Musik von Rotting Christ zu beschreiben ist nicht einfach. Irgendwie ist es schon Black Metal, allerdings werden die Grenzen des Genres ständig gesprengt und fast bis ins Unendliche erweitert. Alles hat eine sehr dichte Atmosphäre und ist in Sachen Pathos und Bombast kaum noch zu überbieten. Das ist definitiv keine Mucke, um sich nebenher berieseln zu lassen. Man muss sich schon auf diesen Trip einlassen, um das Album zu genießen, am besten über Kopfhörer. Traditionelle Songstrukturen gibt es kaum, es kommen immer wieder exotische Klänge zum Einsatz, die klassischen Black Metal Vocals von Mastermind Sakis Tolis (der das Album fast alleine geschrieben hat) wechseln sich ständig ab mit Spoken Word-Passagen, Chören und arabischen sowie russischen Gast-Vocals. Auch das Drumming hat oft nicht viel mit gängigen Stilen zu tun und einhält sehr viele perkussive Elemente. Der Sound ist voluminös, druckvoll und differenziert.

Jeden Song einzeln zu analysieren, spare ich mir an dieser Stelle. Ein Highlight ist definitiv der Doppelschlag zur Eröffnung des Albums. „In The Name Of God“ baut mit vielschichtigem Instrumentarium, epischen Chören und mächtiger Perkussion eine Wahnsinns-Spannung auf, die in einem übermächtigen Chorus gipfelt und mir direkt den ersten Schauer über den Rücken laufen lässt. Das folgende „Vetry Zlye“ beginnt mit einem extrem treibenden Gitarrenriff und explodiert an allen Ecken und Enden… Sakis keift voller Inbrunst, es gibt weibliche Vocals und fette männliche Chöre, und wieder sprießt die Gänsehaut. Für mich momentan der stärkste Song des Albums! Im weiteren Verlauf bietet „The Heretics“ jede Menge Abwechslung und braucht auf jeden Fall einige Durchläufe, um wirklich erfasst zu werden. Beim letzten Song der regulären Version, „The Raven“, dessen Text ein Gedicht von Edgar Allan Poe ist, sollte man auf jeden Fall noch mal besonders auf die melodischen Gitarrenparts zum Ausklang achten. Göttlich! Der Song hätte in ähnlicher Form übrigens auch von den Portugiesen Moonspell stammen können. Die in der Deluxe-Box enthaltene Version des Albums enthält noch den Bonustrack „The Sons Of Hell“. Hier wiederholt sich ein Phänomen, dass es schon auf dem 2013er Album „Kata Ton Daimona Eaytoy“ gab. Im Gegensatz zum regulären Material ist dieser Song nämlich weitaus eingängiger und konventioneller ausgefallen und erinnert stark an den typischen Neunziger-Sound, den Rotting Christ damals zusammen mit Weggefährten wie die bereits erwähnten Moonspell, Amorphis, Sentenced, Therion und Konsorten geprägt haben. Das traf auch schon auf „Welcome To Hel“, den Bonustrack des 2013er-Albums zu.

Fazit: Wer die letzten Alben der Griechen mochte, kann auch hier bedenkenlos zugreifen. Wer kein Problem mit Bombast und exotisch anmutenden Sounds hat und gerne mal über den Tellerrand herausblicken bzw. heraushören möchte, sollte sich unbedingt mal Zeit nehmen und in den Kosmos von Rotting Christ eintauchen. Es lohnt sich!

Wertung: 8,5/10
Autor: Felix Schallenkamp