SODOM, TRAITOR – Bochum, Zeche, 26.12.2022

Bochum, Zeche, 26.12.2022


Es ist der zweite Weihnachtstag und bei typischem Ruhrgebiets-Weihnachtswetter (7°C und Nieselregen) macht man sich auf, um ein wenig anti-besinnliche Musik zu hören und in der Bochumer Zeche alle 2,5 Meter auf ein bekanntes Gesicht zu treffen. Den Rahmen hierfür bietet der Tourauftakt einer Sodom Mini Tour, die eigentlich mit Darkness durch die Lande zieht, die allerdings im Pott nicht dabei sein dürfen. Wahrscheinlich kennt die Zeche die Trinkfreudigkeit dieser Bandkombination zu gut. Also machen an diesem Abend die Balinger Traitor den Anfang, die schon den Soundtrack zur „Total Thrash“ Dokumentation beisteuern durften. Für mich sind die Vier immer noch einer der besten Thrash Newcomer, wobei mir ein Blick in die Metal Archives verrät, dass die Wurzeln dieser Band ins Jahr 2004 zurück reichen. Kinder, wie die Zeit vergeht. Das besondere an Traitor ist, dass in klassischer Exciter Manier die Lead Vocals von Drummer Andreas übernommen werden. Die Doppelbelastung aus präzisem Power-Drumming und keifenden Thrash-Vocals meistert er wunderbar, mir fehlt allerdings bei dem energiegeladenen Sound einfach ein Frontmann, der diese Energie auch in Bewegung umsetzt. Als Anheizer funktionieren sie trotzdem super. Der Fokus des Sets liegt auf dem aktuellen Album „Exiled To The Surface“, auf dem auch der „Total Thrash“ Soundtrack vertreten ist. Mit „Teutonic Storm“ wird eben den alten deutschen Thrashbands gehuldigt und man kann es als Vorschau auf das, was gleich noch kommen soll, verstehen. Die Bandhymne „Traitor“ darf natürlich auch nicht fehlen und die 45 Minuten Opener Slot sind sehr schnell und kurzweilig um. Nun folgt eine etwas längere Umbaupause.

  Sodom hat sich für die Mini-Tour zwischen den Jahren eine neue Bühnendeko gegönnt und es gibt auch richtige Tourshirts der Gelsenkirchener. Diese sind bei Sodom ja eher selten geworden, da die Band meistens Einzelshows spielt. Im 40. Jahr des Bandbestehens will man es also weiterhin wissen und denkt noch lange nicht an die Rente. An gleicher Stelle habe ich Sodom 2017 zur 35 Jahre Jubiläumsshow gesehen, die mal eben an der drei Stunden Marke kratzte und schlicht und ergreifend legendär war. Die Vorzeichen für den Abend sind also bestens. Nach dem Intro legt die Truppe mit „In War & Pieces“ los und einem fällt auf, dass die Truppe mit dem 2020 dazu gestoßenen Drummer Toni erstaunlich tight und präzise ist. Das Fundament, was Toni legt, können Blackfire, Angelripper und Yorck (irgendwie brauchen die beiden Jungspunde auch noch anständige „Kampfnamen“) für ein regelrechtes Feuerwerk aus neuen und alten Klassikern nutzen. Tom ist bestens aufgelegt und bestens bei Stimme, der Sound in der Zeche ist großartig. Weiter geht es mit „Friendly Fire“, mit „Body Parts“ und „One Step Over The Line“ folgen zwei eher selten gespielte Stücke vom „Tapping The Vein“ Album, das in diesem Jahr auch schon 30 wird. Danach folgt mit „Agent Orange“ einer der größten Hits der Band, der direkt für größeren Flugverkehr in der Zeche sorgt. Tom kommentiert das trocken mit „In Bochum waren immer die besten Stagediver“. „Sodom & Gomorrha“, „Tired & Red“ und „Conflagration“ halten das Tempo hoch.

Danach wird es für einen kurzen Moment tatsächlich etwas besinnlich. Tom widmet das folgende „After The Deluge“ dem in diesem Jahr verstorbenen Uwe Christoffers, alias Asator und rätselt, wie man „Deluge“ eigentlich richtig ausspricht. Gut, das hat er in den knapp 40 Jahren immer noch nicht gelernt, macht aber nichts, da der Begriff im Text ohnehin nicht vorkommt. Vom Publikum wird danach der Wachturm gefordert, den Tom nur spielen will, wenn jemand einen Wachturm dabei hat und den auf die Bühne wirft. Ich konnte zwar kein Heft fliegen sehen, aber eine ungeprobte Version gab es trotzdem. Mit „Sodomy & Lust“ und „Outbreak Of Evil“ bleibt die Truppe bei altem Material, Kollege Blackfire entledigt sich allerdings schon einmal der Oberbekleidung. Bei diesen Stücken ist so viel Bewegung im Publikum, dass ich die Hitzewallungen verstehen kann, aber hoffentlich erkältet er sich direkt am Tourstart nicht. Mit „1982“ und dem mit „Surfing Bird“ eingeleitetem „Glock ‚n‘ Roll“ geht es in der Zeit wieder etwas zurück in Richtung Gegenwart. „The Saw Is The Law“ macht dann einen Sprung zurück ins Jahr 1991, „Partisan“ ist ein kleiner Sprung zurück in die Moderne, bevor es den „Conqueror“ vom „Persecution Mania“ Album gibt. Tom schraubt nach dem Song an seinem Mikroständer herum und ändert die Position seines Gesangsmikrofons so, dass die Kapsel schräg nach unten zeigt, er also beim Singen hoch schauen muss. Was das ganze soll, wird beim nachfolgenden „Iron Fist“ Cover dann klar, das mich ein wenig wehmütig macht. Ebenfalls in der Zeche habe ich vor 22 Jahren das erste Mal Motörhead live gesehen. Weiter geht es mit „Caligula“, den Tom mal eben kurz ins Mittelalter versetzt, gefolgt von „Remember The Fallen“ und „Ausgebombt“. Bei „Ausgebombt“ ist scheinbar die Stage Diver Ladies Night ausgerufen, gleich drei Damen lassen sich bei dem Stück über die Menge tragen. Es soll die letzte Nummer vor der Zugabe sein. Nach einer kurzen Stimmpause kommt die Band wieder auf die Bühne und feuert mit „Silence Is Consent“ eine echte Liverarität ab. Ich kann mich nicht erinnern, den Song vorher einmal live gehört zu haben. Danach kann nur noch eines kommen. Die Zeche explodiert im finalen „Bombenhagel“. Nach etwas über zwei Stunden ist dieses Mal Schicht.

Ich kenne wenige Thrashbands, die so lange Shows spielen. Sodom sind am Ende des Jahres 2022 so etwas wie die Saxon des Thrash Metal: nicht die ganz große Band im Genre, nicht die Band, die große Hallen füllt, aber die Band, die 40 Jahre ihr Ding durchgezogen hat und heute immer noch einfach Bock hat, zu spielen. Wenn man 40 Jahre im Geschäft ist und alle Phasen berücksichtigen will, dann muss man halt länger spielen. Musikalisch sind sie in großartiger Form, aber immer noch spontan und chaotisch auf der Bühne, so dass man nie den Eindruck hat, die Vier würden gerade nur einem Job nachgehen. Tom wird im nächsten Jahr 60, hoffen wir, dass er noch lange nicht an die Rente denkt. Als Bergmann hätte er diese schon vor fünf Jahren durch haben können.

Autor & Pics: Jens Wäling