THRESHOLD – dividing lines

Threshold haben einen Lauf. Und das seit über zwanzig Jahren. 2001 erschien das Überalbum „Hypothetical“ und die ‘Formel‘ für ein nahezu perfektes Prog Metal Album schien gefunden zu sein. Melodien zum Niederknien, gesunde Härte und bei aller Progressivität geriet der Song an sich nie aus dem Fokus. Wenn also dieser Tage ein neues Album der Briten ansteht, stellt sich lediglich die Frage, ob es ein nur „sehr gutes“ oder ein „überragendes“ geworden ist.

Erfreulicherweise ist es dieses Mal Letzteres geworden. Woher bitte nehmen die Herren Groom/West immer nur diese Killermelodien her? Das Composer-Team scheint heuer eher von der Muse geknutscht, als geküsst zu sein. Glücklicherweise haben sich die Line-Up und Sängerwechsel der letzten Jahre nie groß auf die Qualität des Songwritings ausgewirkt. Auch nicht beim direktem Vorgänger „Legends Of Shires“ (2017), welcher übrigens das erste Konzept- und Doppelalbum der Band war. Nicht jeder Fan war seinerzeit davon begeistert, als Glynn Morgan den vakanten Sängerposten übernahm, nachdem Damien Wilson erneut die Band verlassen hatte. Sympathiebolzen Damien sang auf dem Debüt „Wounded Land“ (1993) sowie auf dem 1997er Album „Extinct Instinct“. Nach dem überstürzten Abgang des langjährigen, und bei den Fans sehr beliebten (dritten) Sängers Andrew McDermott (1998-2007, leider 2011 verstorben), verhalf Damien der Band, über die Jahre zum Topfrontmann gereift, wieder in die Spur und ist als Sänger auf den zwei folgenden (gewohnt starken) Alben zu hören.

Allerdings ist Glynn Morgan auch kein Unbekannter innerhalb der Bandgeschichte. Er ersetzte bereits 1994 schon einmal Damien Wilson und sang das zweite Album „Psychodelicatessen“ ein. Sein Mitwirken verpasste dem Album im Vergleich zum Debüt eine deutliche Metal-Schlagseite. 1996 verließ Glynn Threshold und gründete mit Mindfeed seine eigene (Heavy Metal) Band, die zwei Alben veröffentlichten, und trat erst 2017 mit seinem Wiedereinstieg bei Threshold musikalisch in Erscheinung. Und ausgerechnet Glynn erweist sich auf „Dividing Lines“ als absoluter Gamechanger, denn er singt hier so gut wie nie zuvor und dürfte die letzten Zweifel der Kritiker zerstreuen. Zeitweise klingt der Gute sogar wie Mac. Schon beim bandtypischen Opener „Haunted“ reibt man sich dann doch verwundert die Ohren, wer da jetzt gerade singt. Egal ob gefühlvoll, energisch, wütend oder frustriert, Glynn findet für jeden Song die passende Stimmfarbe und macht die verarbeiteten Themen wie Zerstörung, gesellschaftliche Abgrenzung („Dividing Lines“), Meinungsfreiheit, Propaganda, Umweltzerstörung und der daraus resultierenden Gefühle greifbar. Kompositorisch wollte sich die Band wieder ein wenig an „Hypothetical“/“Critical Mass“- Zeiten (2001/2002) orientieren. Das Gros der Kompositionen sind mit fünf, sechs Minuten recht kompakt gehalten. Lediglich zwei Songs knacken die Zehn-Minuten-Marke, sind aber keinesfalls zu lang oder gar zu langatmig geraten. Ob Quickie oder Longie: Hier sitzt, wie gewohnt, jede einzelne Note an ihrem richtigen Platz.

Der ursprüngliche Plan, eine Fortsetzung des Vorgängers zu schreiben, wurde schnell ad acta gelegt. Und tatsächlich gelingt es geradezu mühelos an die wahrscheinlich erfolgreichste Bandphase anzuschließen. Für den langjährigen Fan hat sich im Grunde genommen so gut wie gar nichts geändert. Top Notch Performance auf ganzer Linie nennt man das. Da fällt es schwer, einzelne Songs hervor zu heben, und auch die persönlichen Favoriten wechseln, je öfter man „Dividing Lines“ hört. Wieder einmal typisch: Die im Vorfeld veröffentlichen Singles müssen nicht zwingend die besten Songs auf dem Album sein. Dies kann sich nicht jede Band erlauben. Übrigens gibt es keine Ballade auf diesem Album. Ruhige, hoch melodische Parts, in denen man sich verlieren kann, dagegen zuhauf. Man könnte jetzt stundenlang über Karl Grooms traumhaftes Gitarrenspiel, Richard Wests perfekt in Szene gesetzten Keyboardteppiche, oder den musikalischen Kabinettstückchen des besten Drummer Großbritanniens etc. schwadronieren, aber das ist Glynns Album. Seine Gesangslinien setzen dem besten Threshold Album seit „March Of Progress“ (2012) die Krone auf. Somit bekommt man nach zehn Jahren wieder ein nahezu perfektes, überragendes Prog Album und einen heißen Anwärter auf das Album des Jahres serviert.

Wertung: 9,5/10
Autor: Michael Staude