REALM, LAST CRACK, RENEGADE
MKE Rock Country Club, Milwaukee, WI, USA, 13.04.2019
Mein ursprünglicher Plan während des Wochenendes nach Chicago zu fliegen, und dann ein paar Tage später nach Milwaukee zur 10. und leider letzten Ausgabe des NYDM Spring Bash zu pilgern, wurden im Januar jäh von der Ankündigung eines Realm Konzertes in Milwaukee durchkreuzt. Das durfte ich mir nicht entgehen lassen. Einerseits liebe ich die beiden Alben „Endless War“ und „Suiciety“ sehr, andererseits ist die Band über 25 Jahre lang nicht mehr aufgetreten. Kurzerhand die ursprünglichen Pläne über den Haufen geworfen und bereits am Freitag nach Chicago geflogen, um dann Samstag nachmittags im bereits erstaunlich frühlingshaften Milwaukee aufzuschlagen. Aufgrund meiner Hotelwahl in Fußdistanz zum Venue, blieb noch etwas Zeit, die Sachen zu sortieren, ein kurzes Nickerchen einzulegen und tatsächlich auch noch Festnahrung zu sich zu nehmen. Die Türen des Rock Country Clubs sollten sich um 20:00 Uhr öffnen, Showstart war für 21:00 Uhr vorgesehen, also alles easy. Der Rock Country Club mit einer geschätzten 500er Kapazität, liegt deutlich außerhalb (ca. 10 Meilen) des Stadtzentrums, direkt am Highway 41 und ist daher für die Autofraktion (wer gehört in den USA nicht dazu) sehr gut zu erreichen. Der Club ist wie der Name bereits ankündigt, im Country/Ranch Style aufgemacht und ist wirklich sehr ansehnlich. Im oberen Bereich befindet sich eine geräumige Bar, die auch ohne Konzertbetrieb geöffnet ist, der eigentliche Club befindet sich dann im Kellergeschoss. Aufgrund der relativ tiefen Deckenhöhe von vielleicht drei Metern kommt hier doch intime Clubatmosphäre auf. Die Temperaturen waren dann – trotz Klimaanlage – auch dementsprechend. Es sollte wortwörtlich eine heiße Nacht werden. Glücklicherweise waren die Bierpreise für US Verhältnisse sehr moderat, so bekam man im Kellergeschoss 3 dl Bier für 4,5 US$, an der Bar oben ein Pint lokales Gebräu vom Fass für 4 US$. Für Abkühlung via Kehlenzufluss war also gesorgt.
Das Spezielle am heutigen Abend war nicht nur die Tatsache, dass Realm nach über 25 Jahren Bühnenabstinenz wieder einmal live auftreten sollten, sondern, dass die drei Bands aus dem Bundesstaat Wisconsin in genau dieser Billingzusammensetzung bereits im letzten Jahrtausend zusammen aufgetreten sind. Der Zusammenhalt untereinander ist also sehr groß und daher verwunderte es nicht, dass Realm Gitarrist Takis Kinos die beiden Supportbands vor deren Auftritt persönlich ankündigte, und die Ansagen mit der einen oder anderen Anekdote aus der gemeinsamen Vergangenheit untermalte. Coole Geste, die den unvergleichlichen Zusammenhalt innerhalb der Metalszene einmal mehr verdeutlichte.
Die erste Band des heutigen Abends war Renegade, die ich zwar vom Namen her kannte, aber musikalisch nicht wirklich auf dem Schirm hatte. Weshalb die Band bisher nicht auf meinem Radar war, machte deren Show relativ schnell deutlich. Das lokale Quintett besteht aus ausgezeichneten Musikern, aber ihr Sound ist für mich zu hektisch und teils recht schwer verdaulich. Die Freejazz Anleihen, die für mich schwer nachzuvollziehen sind, sind sicherlich nicht jedermanns Sache. Mucke bei der man sich konzentrieren muss also. Sehr toll auf Platte, aber live ziemlich anstrengend. Nichtsdestotrotz, lieferte die Band einen beachtlichen Auftritt ab, v.a. in Anbetracht dessen, dass die fünf Herren seit neun Jahren nicht mehr zusammen aufgetreten sind, und erst vor ein paar wenigen Tagen das erste Mal wieder zusammen geprobt hatten. In der Tat wurde die Performance von Song zu Song besser, und der Höhepunkt stellte klar das Thin Lizzy Cover „Emerald“ dar, welches ausgezeichnet wieder gegeben wurde. Die restlichen Songs kannte ich alle nicht, aber die mitgereiste kleine Fanschar (mehrheitlich Freunde und Familienmitglieder der Band) wurden bestens unterhalten. Mir hat der sympathisch und authentische Auftritt gut gefallen auch wenn wie gesagt der Sound nicht ganz meine Baustelle ist. Der Titeltrack des einzigen Albums „Social Preasure“ (1988) bildete einen idealen Abschluss dieses guten Auftritts. Ich bin gespannt, wie sich die Jungs am nächsten Samstag am NYDM Spring Bash präsentieren werden. Der vierzigminütige Auftritt an diesem Abend hat auf jeden Fall Spaß gemacht und vielleicht sollte ich die Band doch mal auf deren einzigem Tonträger anchecken.
Setlist: Place; Hobbit; Yo Ho Ho; The Final Day; Hawk; Way Out; Emerald; Social Preasure.
Nach einem kurzen Aufenthalt an der Bar ging es mit Last Crack aus Madison weiter. Eine weitere Band, die ich vom Namen her ebenfalls kannte, aber deren Tonträger mir nichts sagten. Auch hier ist der Sound klar nicht meine Baustelle, baut die Band doch sehr viele moderne, funkige Soundelemente in ihre Songs ein. Auch Last Crack gehörten der legendären Wisconsin Underground Szene der späten 80er bis Mitte 90er Jahre an, und stellten eine der Speerspitzen des avantgardistischen Metals dieser Periode dar. Dafür muss man der Band Tribut zollen. Sie haben ihr Ding durchgezogen und ihr Sound war seiner Zeit teils meilenweit voraus. Am heutigen Abend wurden nicht nur die Klassiker der Bandgeschichte wiedergegeben, sondern auch einiges an neuem Material präsentiert. Das zeigt bereits, dass der heutige Auftritt keine Eintagsfliege sein sollte, sondern, dass die Band wohl bald ein neues Album veröffentlichen wird. In der Tat steht für den Mai 2019 die Veröffentlichung des neuen Albums „The Up Rising“ auf dem Plan. Sänger Buddo erklärte es mit einem simplen Statement: „We are back“. Die Band agierte dabei mit einer sichtlichen Spielfreude und die Publikumsreaktionen waren deutlich euphorischer als bei Renegade zuvor. Die Songs wurden sehr sauber intoniert und generell war die Soundqualität im Rock Country Club ausgezeichnet. Sauber und ausgeglichen abgemischt, ohne zu laut zu sein. Heute saßen echte Profis am Mischpult. Auch die Lightshow war bei allen Bands super, und alle drei Bands hatten gleich viel Licht zur Verfügung. Last Crack zeigten eindrücklich, dass man die alte Garde keinesfalls abschreiben darf und die ca. 50 Minuten Spielzeit nutzte die Band, um amtlich Eigenwerbung zu betreiben.
Umso gespannter durfte man sein, ob Realm der Performance von Last Crack noch einen oben drauf setzten könnten. Die Spannung stieg dann ins Unermessliche als sie gegen 23:15 Uhr die Bretter erklommen. Wie würde sich die Band präsentieren? Können die Jungs an die glorreichen Zeiten des letzten Jahrtausends anknüpfen, und vor allem wie gut wird Sänger Mark Antoni bei Stimme sein? Um es vorwegzunehmen: der Kerl singt immer noch so geil wie zu den Glanzzeiten der Band. Das Quintett, welches bis auf den leider 2017 verstorbenen Gitarristen Paul Laganowski im Original Line-up fungierte, lieferte eine astreine Performance ab und es hat sich definitiv gelohnt, den weiten Weg für diesen speziellen Moment auf sich zu nehmen. Die Band spielte ihre Klassiker der beiden legendären Alben und füllte somit ihren neunzigminütigen Headliner Slot zur großen Zufriedenheit der anwesenden Fans. Die Band hatte sehr viel Spaß und war aufgrund der teils euphorischen Publikumsreaktionen sichtlich gerührt. Gitarrist Takis Kinis widmete mehrere Songs dem leider viel zu früh verstorbenen ehemaligen Weggefährten und gab immer wieder die eine oder andere Anekdote zur Vergangenheit der Band preis. Ein sichtlich emotionaler Abend für die Band, die sich extrem tight und musikalisch auf einem top Level durch ihren Set spielte. Da kann sich manch etablierter Act eine dicke Scheibe Anschauungsunterricht abschneiden. Authentisch, sympathisch und mit viel Freude und Engagement war die Band bei der Sache und intonierte dabei ihre teils komplexen „Hits“ der Vergangenheit mit einer Selbstverständlichkeit, dass man nicht meinen könnte, die Band sei über zwei Jahrzehnte weg vom Fenster gewesen. Die Musiker waren zwar in anderen Bands aktiv, trotzdem ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die fünf als Realm auf der Bühne wieder so gut harmonierten wie sie es heute Abend taten. Großer Respekt gilt dabei dem neuen Saitenhexer Paul Terrien, der die großen Fußstapfen von Paul Langanowski ausgezeichnet ausfüllte, und einen super Job abgeliefert hat. Es ist nie einfach, einen verstorbenen, für eine Band prägenden, Musiker zu ersetzen. Er tat dies in einer musikalisch hochstehenden und bühnentechnisch bescheidenen Art und Weise! Der Abschluss des offiziellen Teils des Konzertes bildete der Titeltrack des Debütalbums „Endless War“. Die Band kam jedoch kurz darauf für einen kurzen Zugabeteil zurück auf die Bühne. Vor allem das abschließende äußerst gelungene Beatles Cover „Eleanor Rigby” bildete ein super Finale dieses denkwürdigen Abends.
Ich hoffe, dass die Band auch in Zukunft wieder ab und zu live spielen und eventuell den Sprung auf ein europäisches Festival schaffen wird. Zu gönnen wäre es den sympathischen Musikern allemal. Nach dem Konzert waren alle Musiker für Gespräche mit den Fans und auch für das Signieren der Tonträger verfügbar. Sänger Mark meinte, als er meine „Endless War“ LP unterscheiben sollte: „Ich habe das Gefühl, ein Kunstwerk mit meinem Gekritzel zu zerstören…“
Setlist: Intro; All Heads Will Turn To The Hunt; Cain Rose Up (Scream Bloody Murder); Slay The Oppressor; Eminance; Root Of Evil; Energetic Discontent; Second Coming; This House Is Burning; The Brainchild; La Flamme’s Theory; Theseus And The Minotaur; Dick; Endless War; Knee Deep In Blood; Eleanor Rigby.
Autor & Pics: Steph Bachmann