HEATHEN – empire of the blind

“Wie alt man geworden ist, merkt man immer dann, wenn eine Autobahnbaustelle fertig geworden ist…“ hat Kabarettistin Anka Zink einmal gesagt. Diese Aussage könnte man auch auf das Erscheinen eines neuen Heathen Albums ummünzen. Satte zehn Jahre hat es gedauert, und zwischen dem letzten Album „Evolution Of Chaos“(2010) und dem legendären „Victims Of Deception“ (1991) waren es sogar 19 Jahre.

In der Zeit ist natürlich viel passiert, unter anderem wurden gleich beide Gitarristen, Lee Altus und Kragen Lum (seit 2007 in der Band), in den Vortex von Exodus eingesogen. Exodus Mainman Gary Holt musste derweil den verstorbenen Jeff Hanneman (R.I.P.) bei Slayer ersetzen und konnte nicht mit seiner eigenen Band touren. Gleichzeitig sind Heathen beim Branchenriesen Nuclear Blast seit 2012 unter Vertrag. Im letzten Jahr war es dann soweit und das neue Werk der Bay Area Thrasher konnte endlich fertig gestellt werden. Auf der „The Bay Strikes Back“ Tour von Label Kollegen Testament, Exodus und Death Angel im Februar diesen Jahres lagen am Merch Stand Flyer aus, die ein neues Heathen Album in Kürze ankündigten. Eine Tour um die Sommerfestivals  wurde ebenfalls gebucht… Aber Pustekuchen, durch die Corona Pandemie wurde die komplette Tour gestrichen und die Veröffentlichung nochmals um weitere Monate verschoben. Mittlerweile haben wir September und dieser Tage soll es endlich soweit sein. Gott sei Dank wurde ich vor ein paar Wochen endlich von der ewigen Warterei erlöst, indem ich ein Review für „Das Reich Der Blinden“ schreiben darf. Ich wäre noch fast wahnsinnig geworden… Es gibt einige Neuerungen im Hause Heathen, allerdings keine besonders gravierenden. Soviel vorweg.

Das gesamte Songwriting blieb dieses Mal an Gitarrist Kragen Lum hängen. Dies hat zur Folge, dass auch die ein oder andere Midtempo Nummer auf der neue Platte zu finden ist. Zweiter Punkt ist die relativ moderne Produktion von Christopher „Zeuss“ Harris, der zuletzt Queensryche oder auch das jüngste Album von Sanctuary (R.I.P. Warrel Dane!) produziert hat und sonst modernere Acts betreut. Diese zwei Neuerungen sind durchaus diskussionswürdig und werden manchen Puristen nicht schmecken.

Aber lassen wir die Kirche im Dorf! Die Mehrzahl der neuen Songs sind absolut Heathen-typisch und hätten so ähnlich auch auf dem direkten Vorgänger „The Evolution Of Chaos“ stehen können. Die Vorabsingle „The Blight“ erinnert sogar an das Debüt „Breaking The Silence“(1987). Man fühlt sich unweigerlich an Klassiker wie „Death By Hanging“ erinnert, gerade was die Gitarrenharmonien angeht. Der folgende Titelsong schlägt in die gleiche Kerbe und überzeugt einmal mehr durch tolle Gesangs- und Gitarrenmelodien, und ist mit fünfeinhalb Minuten die längste Nummer des gesamten Albums! Beim Songwriting wurde dieses Mal penibel auf die Kompaktheit der Songs geachtet, um eine Brücke zum Debüt zu schlagen. Witzigerweise finde ich aber ausgerechnet den Rausschmeißer „The Gods Divide“, ein Brecher vor dem Herrn, sogar für etwas zu kurz geraten. Durch dieses „Facelifting“ bei den Kompositionen kommt das Album auf eine Gesamtlänge von gerade mal 48 Minuten. Es lässt sich gut in einem Rutsch durchhören und man ist mehr als geneigt, die „Repeat“ Taste zu drücken. Kein Wunder bei der Güte des Materials und dessen jahrelangen Dornröschenschlafs!

Sänger David White macht erneut einen Superjob und hebt sich nach wie vor wohltuend von den anderen Schreihälsen der Bay Area Szene ab. Auf „Empire Of The Blind“ wurden anscheinend nicht nur die Gitarren runter gestimmt, sondern auch sein Gesang. Das tut dem Ganzen aber keinen Abbruch und kommt bei dem hochmelodischen „Sun In My Hand“ und der tollen Ballade „Shrine Of Apathy“ besonders gut zur Geltung. Völlig ohne Gesang kommt dagegen das fünfminütige „A Fine Red Mist“ aus, übrigens der zweitlängste Song des Albums. Der Cluo des Instrumentals ist das Zusammentreffen der „Who Is Who?“ sämtlicher Bay Area Gitarristen inklusive dem legendären H-Team (Holt/Hunold) und ehemaliger Heathen Gitarrist Doug Piercy (heute bei Blind Illusion), die sich während eines Solos gegenseitig ihre „Leads“ zuspielen. Sehr, sehr stark! Ebenfalls äußerst gelungen ist das absolut zwingende und drückende „Blood To Be Let“, welches entfernt an „Undone“ vom letzten Album erinnert. Auch das hypnotische „Dead And Gone“ ist ein Volltreffer geworden und hätte auf „Victims Of Deception“ eine gute Figur gemacht .

Das midtempolastige „In Black“ verfügt neben einem schmissigen Refrain, auch über die ein oder andere Gitarrenharmonie, die den Song aus dem Stakkato-Riffsumpf heraus rettet. Eine durchaus gelungene Nummer. Modernster und untypischster Song ist das knapp dreiminütige „Devour“, welches im Vergleich mit dem Rest dann doch ein wenig abfällt. Ist allerdings auch kein richtiger Rohrkrepierer, der zwischen der Ballade und dem Instrumental geschickt platziert wurde und im Flow des gesamten Albums nicht großartig auf- oder abfällt.

Mein Fazit: ich persönlich halte das Jahrtausendalbum „Evolution Of Chaos“ für absolut perfekt („Victims Of Deception“ sowieso). Das gilt sowohl für die einzelnen Songs, als auch für die Produktion von Juan Urtega (einen Remaster von Zeuss, wie dieses Jahr erschienen, hätte es nicht gebraucht). Nimmt man dies als Maßstab, halte ich einen Punkt Abzug für angemessen. Das macht dann aber immer noch neun dicke Punkte, ätsch!

Wertung: 9/10
Autor: Michael Staude