JOURNEY – freedom

Seitdem die AOR Götter 2008 den philippinischen Sänger Arnel Pineda (auf YouTube) entdeckten und kurze Zeit auch als neuen Sänger verpflichteten, befand sich die Band wieder im Aufwind. Das Comeback Album „Revelation“, welches zunächst nur über die amerikanische Kaufhauskette Walmart (sick!) vertrieben wurde, war mehr als gelungen und konnte auch musikalisch mit den Achtziger Großtaten „Escape“ (1981) bzw. „Frontiers“ (1983) mithalten. Sie sollten sogar später eine Goldauszeichnung für „Revelations“ in den USA erhalten. Der neue Sänger verpasste den Kompositionen einen (Roundhouse) Kick, den sogar Chuck Norris beeindrucken würde, und stimmlich gelang ihm das Kunststück, dem Original Sänger Steve Perry auf Augenhöhe zu begegnen und dabei gleichzeitig eigenständig zu klingen. Auch auf dem Livesektor ist Arnel ein Gewinn für die altehrwürdige Band, dessen Gründungsmitglieder ihre ersten musikalische Sporen übrigens bei einem gewissen Carlos Santana verdient haben. 2011 erschien das letzte deutlich gitarrenorientierte, aber beileibe nicht schwächere „Eclipse“. Allerdings verkaufte es sich nach Bandaussage nicht so gut wie sein Vorgänger, und verleitete Keyboarder Jonathan Cain zu der Aussage, dass es derzeit keinen Sinn mache, an einem weiteren Studioalben zu arbeiten und man lieber mit den alten Klassikern touren möchte.

Soweit, so schlecht…in den letzten Jahren gab es viele personelle Rückschläge zu verkraften. Erst flog Monster Drummer (und Sänger) Deen Castronovo wegen Drogeneskapaden inklusiver Verhaftung wegen häuslicher Gewalt aus der Band. Dann kam es zu Urheberrechtsklagen unter den verbliebenen Bandmitgliedern, was dazu führte, dass die Gründungsmitglieder Ross Valory (Bass) und Steve Smith (Drums) gehen mussten. Ja und da war da noch was…richtig, Corona. Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendwas gut ist…und das Ergebnis liegt uns jetzt hier vor … gleich ein Doppelalbum ist es geworden. Mit dem etwas plakativem Titel „Freedom“. Gott sei Dank hat Bandleader und Monster Gitarrist Neal Schon die zusätzlich gewonnene Freizeit genutzt und fleißig komponiert. Insgesamt 15 (!) Kompositionen, die auch den armen Jonathan und seinem Piano wieder genügend Platz zur freien musikalischen Entfaltung bieten.

Was er natürlich schon beim Opener „Together We Run“ schamlos ausnutzt und beim Einsatz der ersten Pianoklänge man sich im Jahre 1981 wähnt…gleiches Spiel bei Song Nummer Zwei „Don‘t Give Up On Us“, nur eben zwei Jahre später. Das Intro kommt einen irgendwie bekannt vor. Auch der dritte Song, das atmosphärische „Still Believe In Love“, ist eine Reise in die glorreiche Vergangenheit, weitere drei Jahre später. Natürlich ist der Eröffnungsdreier kein bloßes Abziehbild alter Heldentaten, sondern starke, eigenständige Songs, die lediglich den Spirit der Achtziger Jahre ins Heute transportieren und wo man sich gleichzeitig als Journey-Jünger sofort heimisch fühlt. Gerade nach dem vielleicht etwas zu ruhigen „Still Believe In Love“ wünscht man sich, um einmal mehr dem Heimwerker König zu zitieren, „Mehr Power!“. Und die bekommt man dann auch postwendend: „You Got The Best Of Me“ katapultiert einen wieder in die Neuzeit und ist vielleicht noch einen Tick mitreißender als das Eröffnungsdoppel. Journey as its best, wie man so schön auf Neudeutsch sagt. Hätte auch auf dem „Revelation“ Album eine sehr gute Figur gemacht. Gleiches gilt für den Schmachtfetzen „Live To Love Again“. Mehr Journey geht nicht. Wie schaffen die das bloß? Soviel Herzschmerz, Wehmut und Sehnsucht in eine Ballade zu packen, ohne dabei im Ansatz kitschig zu wirken. Da müssen wohl gute Musiker und Songwriter am Werk sein…

„The Way It Used To Be“ war das erste Lebenszeichen nach der langen Auszeit und beschäftigt sich direkt mit der Pandemie und ihren Auswirkungen und versprüht letztlich auch Hoffnung auf wieder bessere Zeiten. Dieses wird übrigens durch einen sehenswerten, äußerst gelungenen Videoclip zum Song untermalt. Passenderweise folgt auf diese unaufgeregte Nummer ein für Journey-Verhältnisse ziemlicher Kracher. „Come Away With Me“ steht ganz in der Tradition von Rockern a la „Edge Of The Blade“ („Frontiers“, 1983) oder dem Titelsong des 81er „Escape“ Albums. Das melodische und sehr atmosphärische „After Glow“ sorgt dann wieder für sofortige Tiefenentspannung. Dieser Song wird übrigens von Deen Castronovo intoniert. Welcher nicht nur ein sehr versierter Drummer ist, sondern auch über eine sehr angenehme Stimme verfügt und dabei wie Arnel auf Augenhöhe mit Steve Perry agiert. Das oft live gespielte „Mother, Father“ (wieder „Escape“) wo Deen nicht nur trommelt, sondern auch dabei singt, ist ein absolutes Highlight einer jeder Journey Show der Neuzeit. Übrigens bleibt dieser Song sein einziger Beitrag zu „Freedom“. Alles andere als für Entspannung sorgte vor etwa einem Jahr ein Post von Neal, in dem er der Öffentlichkeit mitteilte, dass er unter anderem auch mit Loops und Computersounds experimentiere und diese dann auch auf dem neuen Album zu hören seien. WTF? Allerdings kann man weitestgehend Entwarnung geben. Lediglich das experimentelle „Let It Rain“ fällt ein wenig aus dem Rahmen und ist vielleicht der verzichtbare Song auf dem Doppel Decker Album. Tut aber nicht weiter weh. Die beiden Tracks „Holdin‘ On“ und „All Day And All Night“ rocken dann wieder mehr, wobei letztgenannter an die alte Swing Nummer „Lovin‘ , Touchin‘, Squeezin‘“ von „Evolution“ (1979) erinnert. Der Ohrwurm „Don‘t Go“ ist wieder ein waschechter Hit aus dem Hause Journey und gibt einmal mehr eine gute Single ab. Damals wie heute! „United We Stand“ schlägt in die gleiche Kerbe und hält einen ähnlich prägnanten Refrain bereit. Das  instrumentale Leitmotiv der Strophe erinnert gar an Nightwish‘s Hit „Nemo“. Das hoffnungsvolle „Live Goes On“ beginnt zunächst gemächlich, nimmt aber nach der ersten Strophe, eingeleitet durch ein kerniges Gitarrenriff, an Tempo zu und entwickelt sich zu einem typischen Journey Rocker ähnlich wie seinerzeit „Stone In Love“ von „Escape“. Das abschließende siebenminütige „Beautiful As You Are“ tarnt sich zunächst als Ballade… unversehens haut der gute Jonathan wieder in die Tasten und verleiht dem Song einen gewaltigen Schub. Der Refrain ist wieder so einer von der Sorte wie nur Journey ihn schreiben können. Und zum guten Schluss darf ein gewisser Narada Michael Walden sein Schlagzeug nach allen Regeln der Kunst (gekonnt) verprügeln, bevor sanfte Klavierklänge und Arnels Engelstimme den Longtrack ruhig ausklingen lassen. Übrigens hat Walden nicht nur die ganzen Drums des gesamten Albums eingespielt, sondern war neben den Hauptakteuren Schon/Cain maßgeblich am Songwriting beteiligt, und hat „Freedom“ (zusammen mit Schon) auch produziert. Kurz nach Beendigung der Aufnahmen ist Deen Castronovo wieder in den Schoß der Journey Familie zurückgekehrt, und hat auch schon auf der anderen Seite des Atlantiks auf der laufenden „Freedom Tour“, die demnächst auch wieder auf dem alten Kontinent stattfinden soll, getrommelt.

So, mal Butter bei die Fische! Wo stehen wir? Ist „Freedom“ mit 15 Songs über 75 Minuten zu lang? Balladenanteil zu hoch? Gibt es „Füller“ oder gar Skipkandidaten? Ich würde alle Fragen mit einem klaren „Nein“ beantworten. Die Songreihenfolge ist schlüssig, das Songwriting abwechslungsreich, und die (Halb-) Balladen Verteilung bilden Anker zwischen den typischen und anfangs etwas ungewöhnlicheren Liedgut wie zum Beispiel „Let It Rain“ oder „The Way We Used To Be“. Wenn es etwas zu kritisieren gäbe, wäre es vielleicht die etwas verwaschene Produktion, die aber genau so von der Band gewollt ist. Das Gros der Songs ist sehr gut, lediglich zwei, drei Songs würde ich als nur „gut“ bezeichnen.

Ergo: die übergroßen beiden Bandklassiker mal ausgeklammert, würde ich „Freedom“ direkt hinter dem Comeback Album „Revelation“(2008) und deutlich vor „Trial By Fire“ (1996) und „The Arrival“ (2001) einordnen. Diese waren im Vergleich zu lang ausgefallen und hatten zu viele Balladen (selbstredend aber auch ihre Höhepunkte! – es gibt kein schlechtes Journey Album). Im direkten Vergleich zum Vorgänger „Eclipse“ (2011) ist „Freedom“ wieder eine Rückbesinnung zu einem typischeren Bandsound, auch wenn ich persönlich Deens Schlagzeugspiel ein wenig vermisse, und mir relativ sicher bin, dass dieser dem Album etwas mehr Punch gegeben hätte.

Wertung: 8,5/10
Autor: Michael Staude