PSYCHOTIC WALTZ – the god-shaped void

„The God-shaped Void“ ist wohl eines der am meisten erwarteten Alben 2020. Seit der Rückkehr der Kalifornier im Original Line-Up 2011 mit der „Power Of Metal“-Tour zusammen mit Nevermore & Symphony X in unseren Breitengraden und einem viel bejubelten Auftritt beim Keep It True Festival 2012, wurde der Wunsch nach einem neuen Album der Proggies immer lauter. Nach weiteren acht Jahren und einigen Konzerten, auf denen bereits neue Stücke vorgestellt wurden, ist es jetzt endlich soweit. Löst man sich von den Gedanken, an die ersten beiden Progmetal-Wundertüten „A Social Grace“ (1990) und „Into The Everflow“ (1992) nahtlos anschließen zu müssen, so wird man dem neuen Album rundum glücklich.

Eröffnet wird der Reigen mit der vorab veröffentlichen Single „Devils And Angels“. Eingeleitet durch ein atmosphärisch dichtes Intro, bei dem bereits die heißgeliebte Flöte zu hören ist, entpuppt sich der Song als eine kompakte Nummer, die sämtliche Trademarks wie Devon Graves hypnotischer Gesang oder die duale Gitarrenarbeit von Dan Rock/Brian Mc Alpin und nicht zuletzt die Rhythmsection um Ward Evens/Norm Leggio bereits enthält. Im Grunde ist dies symptomatisch für jeden weiteren Song des neuen Albums. In einem aktuelleren Interview hat die Band sich dahin gehend geäußert, weiterhin kompositorisch an kompakten Songs festzuhalten.

Auffallend ist, dass sich die progressiveren Stücke im Mittelteil befinden, während am Anfang die straighten Nummern stehen. Zu Letzteren gehören zum Beispiel das treibende „Stranded“ oder das ebenfalls bereits live vorgestellte eingängige „Back To Black“. Songs dieser Art hätten auch auf dem letzten Album „Bleeding“ (1996) stehen können.

Bei meinen persönlichen Highlights, dem melancholischen „The Fallen“ (diese „…crawling into you“-Bridge geht mir nicht mehr aus dem Kopf) und vor allem „While The Spiders Spin“ werden dann doch Erinnerungen an seelige „Into The Everflow“-Zeiten wach. Äußerst gelungen ist ebenfalls das zweigeteilte „Pull The String“, welches als Opener den Weg in die Setlist der letzten Tour gefunden hat. Auch dieser Song enthält so eine Phrase („Angels carry guns…“), die sich direkt ins Gehirn bohrt und einen nicht mehr loslässt. Jeder Hörer wird hier seine eigenen „Hirnfräsen“ finden, da sie bei sämtlichen Songs auftauchen und selber feststellen, welche Refrains zwingend bzw. weniger zwingend für ihn sind. Bei den letzten zwei, drei Nummern wird das Niveau dann nicht mehr durchgehend gehalten, aber auch diese Songs haben es natürlich in sich. Den Refrain von „Demystifide“ finde ich jetzt nicht so zwingend, allerdings scheinen die Flöten-Passagen den Part eines Gitarrensolos zu übernehmen, was ziemlich cool ist. „Sisters Of The Dawn“ besticht durch ein ausuferndes Gitarrenduell zwischen Rock und Mc Alpin im Mittelteil und einem gelungenen Refrain. Den Abschluss bildet das eher rockige „In The Silence“, der vielleicht unscheinbarste Song des Albums.

Abgerundet wird das Werk durch ein gewohnt geschmacksicheres Artwork von Travis Smith sowie eine druckvolle, transparente und zeitgemäße Produktion von Jens Bogren, der unter anderem auch das letzte Meisterwerk von Fates Warning veredelte.

Möchte man ein Haar in der wohlschmeckenden Prog-Suppe finden, könnte man vielleicht sagen, dass sämtliche Songs ein wenig gleichförmig klingen, was dem Album aber auch einen gewissen Flow (wenn auch nicht „EverFlow“) verleiht. Ein wenig Variation in Tempo, Ausbrüche in Härtegrade und (noch) mehr progressive Abfahrten hätten sicherlich nicht geschadet. Allerdings ist das Meckern auf dem berühmten hohem Niveau. Wir sollten also alle froh sein, dass wir Devon und seinen Jungs wieder in blendender Verfassung zurück haben, wenn auch deutlich gesetzter und gereifter als zuletzt.

Wertung: 9/10
Autor: Michael Staude